Memoiren einer Sozialistin - Kampfjahre
325 pages
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Publié le 08 décembre 2010
Nombre de lectures 102
Langue Deutsch
Poids de l'ouvrage 1 Mo

Extrait

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The Project Gutenberg EBook of Memoiren einer Sozialistin, by Lily Braun
This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.net
Title: Memoiren einer Sozialistin  Kampfjahre
Author: Lily Braun
Release Date: July 15, 2005 [EBook #16302]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MEMOIREN EINER SOZIALISTIN ***
Produced by richyfourtytwo and the Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net
Memoiren einer Sozialistin
Kampfjahre
Roman
von
Lily Braun
Albert Langen, München
1911
Erstes Kapitel
Eine gewitterschwüle Juninacht. In der Kabine unten hatte ich es nicht ausgehalten. Die eingeschlossene Luft legte sich zentnerschwer auf Kopf und Brust, und das melancholisch eintönige Anschlagen der Wellen an die Fenster preßte mir das Herz zusammen, als ob das Unglück selbst es in seinen harten Händen hielte.
»Ich bin seefest,« hatte ich der warnenden Stewardeß zugerufen, als ich die schwankende Treppe hinaufgestiegen war. Zwei-, dreimal atmete ich auf, tief und schwer, wie nach überstandener Anstrengung, ehe ich mich in den Korbstuhl fallen ließ. Am Himmel jagte, vom Wind gepeitscht, ein schwarzes Wolkenheer. Dunkel und drohend rollten die Wellen dem Schiff entgegen. Kein Mondstrahl spiegelte sich in ihnen, kein Stern erle uchtete das finstere Firmament. Langsam verschwanden am Horizont die Küste von Holland und mit ihr die letzten freundlichen Lichter.
Ich war allein — ganz allein. Ich sammelte meine Gedanken, die das Fieber der letzten Tage durcheinandergewirbelt hatte wie d er Sturm die Schaumperlen auf dem Wasser. War das Gebäude meines neuen Lebens, das ich mir droben auf den Bergen mit eigenen Händen stolz und selbstsicher errichtet hatte, nichts als ein Kartenhaus gewesen, das ein Stoß mit der Hand umzuwerfen vermochte? Ich griff suchend in die Tasche meines Mantels, es war kein Traum, sondern grausame Wirklichkeit: meiner Mutter Brief knisterte noch darin. Ich konnte ihn auswendig. Schon auf der Fahrt von Grainau nach Berlin hatte ich ihn gewiß zehnmal gelesen.
»Es ist mir, Gott sei Dank, möglich gewesen, Deinen Brief ohne Wissen Deines Vaters in die Hand zu bekommen,« hieß es darin, »un d ich schreibe Dir in größter Hast, Gott anflehend, daß es meinen Worten gelingen möchte, das Schrecklichste von uns allen abzuwenden. Was ich immer schon fürchtete, als ich mit anhören mußte, wie Dein verstorbener Mann und Du unseren Herrn und Heiland verleugnetet, und in Euren ›Ethischen Blättern‹ las, wie Ihr immer wieder für die Umsturzpartei eintratet, das ist jetzt geschehen. Der Samen, den Georg in Deine Seele streute, ist aufgegangen: kühl und geschäftsmäßig, als handle es sich um den Plan eines Spaziergangs, teil st Du uns mit, daß Du Deine Redaktionsstellungen aufgegeben hast, um Dich ganz und gar der Sozialdemokratie in die Arme zu werfen. Deine große Verirrung, Dein Unglaube haben Dich, wie es scheint, für alles, was Pflicht, Gehorsam, Liebe und Rücksicht heißt, blind und taub gemacht, sonst müßtest Du wissen, daß Du mit einem solchen Schritt Deinem ganzen bisherig en Verhalten Deinen Eltern, Deiner Familie gegenüber die Krone aufsetzest. Dieser Partei, die alles besudelt und mit Füßen tritt, was uns heilig ist: Gott und Christentum, Familie, Ehe, Monarchie und Militär, sollen wir unser Kind überlassen? Es wäre in dem Augenblick für uns gestorben! Aber freilich, das is t Dir einerlei, Du wirfst leichten Herzens alles über Bord, was Deinem Eigensinn, Deinem Ehrgeiz, Deiner Eitelkeit hindernd in den Weg tritt. Wenn Du aber damit Deinen armen Vater mordest — von mir will ich gar nicht reden, eine Mutter scheint dazu da zu sein, daß die Kinder sie mit Füßen treten —, wirst Du auch dann noch Deiner Selbstherrlichkeit froh werden können?! Du w eißt, daß es ihm in letzter Zeit gar nicht gut geht. Vor ein paar Tagen fiel er vom Pferd; er sagt, er sei gestürzt, Bruder Walter aber, der dabei war, ist überzeugt, daß es ein leichter Schlaganfall gewesen ist. Die kleine Braune, deren Ruhe du kennst, machte keinerlei Bewegung, er glitt eben einfach aus dem Sattel. Seitdem leidet er an
Schwindel und Kopfschmerz und ist schwerer zu behan deln denn je. Jede Aufregung kann einen neuen Anfall hervorrufen, der ihn tötet. Ich wollte nur, ich könnte dann mit ihm sterben, ehe ich so etwas mit Dir erleben müßte ...!«
Als ich diesen Brief erhalten hatte, waren meine Austrittserklärungen aus den Redaktionen der »Ethischen Blätter« und der »Frauenfrage« schon versandt worden. Kaum in Berlin angekommen, fand ich die Mitteilung davon in der Presse und die nötigen Kommentare dazu: »Frau von Glyzcinski hat den längst erwarteten Schritt getan, und die Sozialdemokratie kann sich ob dieser ebenso interessanten wie pikanten Aquisition ins Fäustchen lachen« ... so und ähnlich lauteten sie.
Am nächsten Morgen in aller Frühe war meine Schwester blaß und verängstigt zu mir gelaufen:
»Wir sind mit dem Arzt im Komplott,« hatte sie mit stockender Stimme gesagt, während die Tränen ihr unaufhaltsam über die Wangen liefen, »er verbietet Papa, auszugehen. So liest er wenigstens im Kasino die Zeitungen nicht. Und die Post wird dem Briefboten an der Hintertreppe abgenommen ... Ach, Alix, — du weißt nicht, wie gräßlich es zu Hause ist .. Ich muß Papa immer was vormachen, damit er nichts merkt und Mama nicht zu sehr quält .. Am liebsten liefe ich selber davon ...«
Zu Tisch war ich dann mit ihr zu den Eltern gegangen.
Meines Vaters Anblick hatte mich erschüttert.
»Kommst du wirklich noch zu einer halben Leiche?!« hatte er bitter lachend gesagt. »Ihr könnt's ja wohl gar nicht erwarten, daß eine ganze draus wird. Herr Gott, — wie hübsch könntet ihr dann eurem Vergnügen leben!«
Mama begleitete mich nach Hause: »Habe den Mut, ihm deinen Entschluß ins Gesicht zu sagen! — So einen Brief schreiben und alle Folgen auf Mutter und Schwester abwälzen, — das ist freilich eine Heldentat, die dir ähnlich steht!«
Abends war Frau Vanselow noch gekommen, — tief bekümmert. »Ich verstehe Ihren Entschluß, — wenn ich so jung wäre wie Sie, ich täte dasselbe —, aber das hindert mich nicht, ihn schmerzlich zu bedauern. Unsere ›Frauenfrage‹ ist nichts ohne Sie. Und darum bitte ich Sie recht herzlich: wenn ich schon die Mitredakteurin verlieren soll, so doch wenigstens nicht die Mitarbeiterin. Mehr als je können Sie jetzt für die Einheit der ganzen Frauenbewegung wirken.« Und dann hatte sie mir die Einladung zum Internationalen Frauenkongreß nach London vorgelesen, die auf unser beider Namen lautete. »Wie viel könnten gerade Sie, meine liebe, junge Freundin, dort lernen und leisten — England, das klassische Land der Frauenemanzipation ...!«
In der Nacht kämpfte ich einen schweren Kampf. Mein e Überzeugungen, meine Zukunftsträume, meine Hoffnungen standen alle bis an die Zähne gewappnet auf wider mich.
Sehr langsam, sehr müde schlich ich am Tage darauf zu den Eltern. Noch nie war mir der Flur, in dem auch heute, an einem strahlenden Frühsommertage, das kleine Lämpchen brannte, so eng, so dunkel vorg ekommen und die Zimmer mit ihren schweren Vorhängen so kalt.
Rasch, wie ein Schulmädchen, das den eingelernten Vers herunterhaspelt, um nur nicht stecken zu bleiben, erzählte ich von der Einladung nach England.
»Wenn ihr nichts dagegen habt, möchte ich mit Frau Vanselow hinüberreisen. Ich kann dabei viel gewinnen. Die englische Frauenb ewegung ist uns weit voraus, die ganze soziale Hilfstätigkeit ist glänzend organisiert, — ich werde mir für meine eigene Arbeit ein Muster nehmen könne n. In schlechte Gesellschaft komme ich auch nicht,« hatte ich mit e rzwungenem Lächeln hinzugefügt, »denn Gräfinnen und Herzoginnen sind unsere Gastgeber ...«
Mama verstand. Sie strahlte. Klein-Ilschen, die sic h bei meiner Ankunft verschüchtert in eine Ecke geflüchtet hatte, sprang auf und wirbelte lustig im Zimmer umher, der Vater schien förmlich elektrisiert von all den Aussichten, die sich mir boten. Er studierte das Kursbuch, das Konv ersationslexikon und schickte die Minna zum nächsten Buchhändler, um den neuesten Bädecker von London zu holen.
Immer wieder griff er verstohlen nach meinen Händen und streichelte sie so sanft, so leise, daß ich den Kampf der Nacht vergaß und nichts fühlte als seine Liebe.
Die Reisevorbereitungen, der Abschied, — der Vater hatte sich's nicht nehmen lassen, mich frühmorgens zur Bahn zu bringen und mi r, wie ein feuriger Liebhaber, einen Strauß blühender Rosen in die Hand zu drücken, — die Eisenbahnfahrt in Begleitung von Frau Vanselow und Frau Schwabach, die unaufhörlich von ihrer Vereinsarbeit sprachen, hatten mich bis zu diesem Augenblick nicht zu Atem kommen lassen.
Ach, und warum schlief ich nicht jetzt, statt herau fzubeschwören, was vergangen war, und in schmerzhafter Sehnsucht an den zu denken, den ich nicht erwecken konnte? Ich sah die Nacht um mich he r und die große Einsamkeit — war Georg nicht erst jetzt für mich ge storben? Mich fröstelte; feucht und kalt klebten mir die Kleider am Leibe.
»Ich will schlafen gehen,« murmelte ich ... und die Augen fielen mir zu .....
Im Morgengrauen lag die Küste Englands vor mir, unfreundlich und nüchtern. Mit jener unwirschen Rücksichtslosigkeit aller Unau sgeschlafenen hasteten und stießen sich die Schiffspassagiere. Ich ließ mi ch schieben, — es war ja alles so schrecklich gleichgültig.
»Frau von Glyzcinski?!« — Überrascht sah ich auf. »Mister Stratford?« — Der rotblonde Hüne, der mich eben begrüßt hatte, nickte erfreut. Wie einen Gruß von Georg, so empfand ich seinen Händedruck; er war sein bester Freund gewesen, seine Schriften, seine Briefe hatten ihn mir wie ein Echo Georgs erscheinen lassen. Und mit leisem Lächeln mußte ich der Stunde gedenken, in der mir der Verstorbene gestanden hatte, daß er zwi schen uns den Heiratsvermittler habe spielen wollen, ehe er daran zu denken wagte, ich könne ihn — den armen Gelähmten — jedem anderen vorziehen.
Stratford war überzeugter Sozialist, wie Georg, nur daß er noch mit aller Energie an dem Standpunkt der Ethischen Gesellschaft festhielt: sich offiziell
keiner Partei anzuschließen. Wir gerieten während der Eisenbahnfahrt nach London in eine eifrige Debatte.
»Grade Menschen wie wir können für die Verbreitung der Ideen des Sozialismus außerhalb der politischen Organisation weit mehr und nachhaltiger wirken, als wenn wir ihre eingetriebenen Mitglieder wären,« sagte er. »Wir verzetteln und verzehren unsere Kräfte nic ht im Kleinkram des Parteilebens, wir finden Gehör, wo wir sonst von vo rnherein auf Mißtrauen stoßen würden.«
»Und Sie als Ethiker können es verteidigen, daß wir mit geschlossenem Visier kämpfen und unsere Überzeugungen durch Hintertüren in die Häuser tragen?« rief ich. »Ich komme mir dabei vor wie ein Feigling und ein Betrüger!«
Er lenkte ein: »Sie mögen in Deutschland, wo der ganze Sozialismus sich in der Partei konzentriert, zu dieser Empfindung ein Recht haben, bei uns gibt es nichts, das der deutschen Sozialdemokratie auch nur annähernd ähnlich wäre. Wir sind viel zu individualistisch, um uns herdenweise zusammenscharen zu lassen; Sie werden daher unseren Sozialismus und seine Ausbreitung nicht nach dem Dutzend kleiner Vereine beurteilen müssen, sondern nach den Scharen freier Sozialisten, die in allen Gesellschaftsschichten zu finden sind.«
Meine Unwissenheit in bezug auf englische Verhältni sse fiel mir plötzlich schwer aufs Gewissen. Ich ließ meinen Begleiter erzählen, der sich, wie es schien, gern reden hörte, und warf nur hie und da eine Frage dazwischen, um seinen Redefluß auf die von mir gewünschten Bahnen zu lenken. Ein Kaleidoskop bunter Bilder reihte sich vor mir auf: von der Ethischen Gesellschaft an, deren Sprecher er war, bis zu den politischen Kämpfen zwischen der konservativ-unionistischen Koalition g egen das liberale Ministerium Rosebery-Harcourt. Ich war ganz benommen, als wir uns London näherten.
Einzelne Häuser tauchten auf, grau, nüchtern, mit trüben Fensterscheiben und dünnen schwarzen Schornsteinen; sie schoben sich re chts und links zusammen, enger und enger, sie verdrängten schließlich das letzte Streifchen grünen Rasens; schmal, feuchtglänzend wie Riesenwürmer, wanden sich unten die Straßen zwischen den Mauern. Ein schmutzig-grauer Nebel umhüllte alles, nicht wie ein Schleier, der phantastische Vo rstellungen von dahinter verborgener Schönheit zu wecken vermag, — wie ein nasses Tuch vielmehr, das die Häßlichkeit der Formen betont und jede Farb e verwischt, die sie mildern könnte. In der Bahnhofshalle brannten die B ogenlampen, sie wirkten wie flackernde Öllämpchen im Dunkel eines Kohlenbergwerks. Wir fuhren durch die Stadt: leichte Wagen und schwerfällige Omnibusse, Reiter und Radler schoben und drängten sich hin und her, kein Fußbreit Weges blieb frei zwischen ihnen. Auf den Bürgersteigen daneben haste ten die Fußgänger; gleichgültig, nur auf das eigene Vorwärtskommen bedacht, ohne einen Blick nach rechts und links. Selbst die Kinder liefen ern sthaft, gradausschauend weiter. Da war keiner, der Zeit hatte —, unsichtbar schienen in der Menge die Fronvögte der grausamen Herrin Arbeit ihre Geißeln zu schwingen.
Hier sollte ich Frieden finden und eine sichere Richtschnur für das kommende Leben?!
»Westminster! — das Parlament,« hörte ich meinen Begleiter sagen. Ich blickte auf. An einem Palast mit gotischen Türmen und Fenstern fuhr der Wagen langsam vorbei. In vornehmer Abgeschlossenheit, hinter hohen Gittern lag er gestreckt am breit dahinflutenden Strom. Schüchterne Sonnenstrahlen brachen durch den Nebel, leuchteten durch das feine gotische Maßwerk, blitzten auf den Turmknäufen, sprangen hinüber zu der altehrwürdigen Kirche und ließen ihre bunten Fenster aufglühen, als stünde sie im Feuer.
Ein schmaler Weg am Ufer der Themse, hinter dem Parlament, einfach und still wie eine Dorfstraße, nahm uns auf. Wir waren am Ziel.
Meine Wirte, zwei alte Leute, hatten fast ihr ganzes Haus den Besuchern des Frauenkongresses zur Verfügung gestellt. Sie empfingen mich so herzlich, als wären wir alte Freunde. Man versammelte sich grade zum Frühstück. Warum waren die Leute nur alle so feierlich? Selbst Stratford legte das Gesicht in würdevolle Falten, — fünf himmelblau gekleidete Dienstmädchen traten ein, — ein Harmonium ertönte, — helle Stimmen sangen einen Choral. Dann las der Hausherr mit dem Tonfall katholischer Priester einen Bibelabschnitt, — ein Gebet folgte. Alles kniete nieder, den Kopf in den Händen vergraben, — auch Stratford, Georgs Freund, der Atheist. Ich fühlte, wie ich rot wurde vor innerem Zorn; ich allein blieb stehen.
»Wie können Sie nur?!« frug ich ihn empört, als er sich verabschiedete.
»Es ist ja nur eine Form!«
»Durch all unsere Rücksicht auf die Form helfen wir die Sache erhalten!«
Am Abend wurde der Kongreß durch einen feierlichen Empfang der ausländischen Delegierten eröffnet. Eine Schar weißgekleideter Mädchen, mit breiten Schärpen in den Landesfarben über der Brust, bildete Spalier auf der Treppe von Queenshall; in ein Meer von Licht war der Riesenraum getaucht, und alle Blumen des Sommers leuchteten und dufteten rings umher. In großer Toilette erschienen die Delegiertinnen, bei jeder E intretenden ging ihr Name flüsternd von Mund zu Mund. Und wie sie bekannt waren, so kannten sie sich untereinander und begrüßten sich wie alte Kriegskameraden. Ich kam allein in meinem schwarzen Trauerkleid, über das der Witwensc hleier schwer herunterfiel. Es war ein leerer Raum um mich, als o b meine dunkle Erscheinung alles Bunte, Helle von sich stieße. Mich kannte niemand. Ein scheu-verwundertes »Wer ist das?« schlug an mein Ohr.
Auf der Estrade versammelten sich die Delegiertinnen, und jede von ihnen begrüßte im Namen ihres Heimatlandes die wogende Menschenmasse unter uns. Da waren sie alle, die alten Vorkämpferinnen, die Frauen Amerikas und Australiens, die ihrem Geschlecht die Hörsäle der U niversitäten und die Pforten zum Parlament eröffnet hatten. Ein neuer We ibestypus: statt der weichen Madonnengesichter, die die Stille und Enge häuslichen Lebens formt, schmale, scharf geschnittene Züge, wie sie die Welt ihren Bürgern meißelt; statt des treuen, warmen Blicks, der über Kinderstube und Küchengarten nicht hinauszuschauen braucht, die wissenden, ernsten, leidenschaftdurchfunkelten Augen jener, denen des Lebens dunkle Abgründe sich offenbaren. Neben
ihnen, den Siegerinnen, standen die noch immer Besiegten: die dunkeläugige Türkin im schimmernden Märchengewande der Scheherez ade, die Abgesandte Indiens, den schlanken braunen Leib in w eiche Schleier gehüllt. Stolz erzählten die einen von ihren Triumphen, klagend die anderen von ihren Leiden, — Triumphen auf dem Gebiete des wissenschaftlichen, des sozialen, des politischen Lebens, — Leiden, hervorgerufen durch sexuelle, soziale und rechtliche Unterdrückung, als ob Befreiung und Not ihres Geschlechtes damit erschöpft wären. Immer heftiger schlug mir das Herz: ich sah wie im Traum vor den Türen dieses glänzenden Saales Scharen blasser Frauen im farblosen Kleide der Arbeit, wie Werkstätten und Fabriken sie allabendlich zu Tausenden in ihr elendes Heim entlassen. Und als mein Name ge rufen wurde, und die weiße brillantengeschmückte Hand der Präsidentin si ch mit einer leise bevormundenden Bewegung auf meine Schultern legte, während sie von Deutschlands rechtlosen Frauen, von meinem ersten A uftreten für ihre politische Gleichstellung sprach, da wußte ich, was ich zu sagen hatte.
»Die Millionen Frauen, die unsere Hemden weben und unsere Kleider nähen, haben mich nicht delegiert, aber ich fühle mich als ihre Abgesandte und nur als die ihre.«
Sekundenlanger Beifall unterbrach mich, — galt er n icht mehr meinem gebrochenen Englisch und meiner Trauerkleidung als meinen Worten? Mit einem Blick voll Geringschätzung streifte ich die elegante Zuhörerschaft. Ich werde euch schon verstummen machen —, dachte ich.
»Ihre Vorsitzende rühmte mich als die erste deutsche Frau, die in öffentlicher Versammlung das Stimmrecht für ihr Geschlecht gefordert habe. Ich muß dieses Lob ablehnen. Seit Jahren tragen deutsche Arbeiterinnen von Ort zu Ort die Fahne der politischen Gleichberechtigung, und a n der Spitze der Arbeiterpartei, der Sozialdemokratie, steht ein Man n, dem die Frauen der ganzen Welt zu Dank verpflichtet sind: August Bebel.«
Ich hielt unwillkürlich inne, ich erwartete einen T umult, statt dessen erhoben sich alle Hände zu einmütigem Applaus, und selbst d ie Damen des Präsidiums, unter denen sich die vornehmsten Frauen Englands befanden, lächelten mir freundlich zu.
Am Ausgang des Saals trat mir eine starkknochige äl tere Frau entgegen. In dem Druck ihrer harten, unbehandschuhten Hand erkannte ich die Arbeiterin. »Ich bin Sozialdemokratin,« sagte sie, »und möchte Sie als Genossin begrüßen.« Auf dem Heimweg begleitete sie mich, und ich gab meiner Verwunderung und meiner Freude Ausdruck über das Erlebte. Sie lachte geringschätzig. »Was wollen Sie?! Wir sind in Engla nd! Wenn ein Prinz Anarchist und eine Aristokratin Sozialistin ist, so gilt das als ganz besonders interessant. Passen Sie auf: man wird sich um Sie reißen. Für unsere Sache aber hat das gar keine Bedeutung.« Sie nannte mir i hren Namen — Amie Hicks — und ihre Wohnung, fern im äußersten Norden Londons. »Besuchen Sie mich einmal; ich werde Sie in Arbeiterkreise führen.«
Im Trubel der nächsten Zeit war daran nicht zu denken. Der Kongreß und seine Veranstaltungen nahmen mich ganz in Anspruch. Ich fehlte zwar oft; nicht nur, um den Morgen- und Abendandachten aus dem Wege zu gehen, mit denen die Sitzungen regelmäßig eingeleitet und geschlossen wurden, sondern auch, um
Zeit zum Schreiben zu gewinnen.
In Gedanken an meine zusammenschmelzende Barschaft stieg mir das Blut oft siedendheiß in die Schläfen. Das sogenannte Gnadenq uartal war mir als Witwe eines Universitätsprofessors freilich bewilligt worden, aber schon vom nächsten Monat ab hatte ich nichts Sicheres zu erwa rten als meine kleine Pension von hundert Mark monatlich. Ich hatte kaum an den pekuniären Ausfall gedacht, als ich meine Redaktionsstellungen aufgab. Nun hieß es: arbeiten, zusammenschreiben, was ich zum Leben nötig hatte. Ich wußte nicht einmal, wie viel das war. Ich hatte nie mit dem Pfennig gerechnet. Wie gut, daß mein Trauerkleid mir wenigstens ersparte, den Luxus der anderen mitzumachen.
Mit Einladungen wurden wir überschüttet: vom Lord-Major an, der uns mit dem ganzen Pomp seiner unnachahmlich würdevollen Stellung empfing, wetteiferte alles in schier grenzenloser Gastfreundschaft. Hinaus aufs Land führten uns Extrazüge, — jenes Land voll rührender, weicher Schönheit, mit seinen grünen, sanft geschwungenen Hügeln, seinen dunklen Buchengruppen und stillen, rosenumsponnenen Häusern. Fast unmerklich für Auge und Sinn geht die freie Natur in den Blumengarten, in den Schloßpark über, nicht wie bei uns, wo die ihr mit allen Mitteln mühsam aufgezwungene Kultur oft so verletzend wirkt wie protziger Reichtum neben dürrer Armut. Und in die Häuser Londons waren wir geladen, die, wie Menschen von alter Kultur, nach außen die gleichförmige, oft langweilig wirkende Maske guter Erziehung tragen und erst dem Gast, dem sich die Pforten öffnen, den ganzen inneren Reichtum individuellen Lebens zeigen. Berlin und die Berliner fielen mir dabei ein, wo Fassaden und Kleider, um Originalität vorzutäuschen, einander an Buntheit zu übertreffen suchen, während im Inneren Tapeziergeschmack und Konvention uneingeschränkt herrschen.
In Wohltätigkeits- und Bildungsanstalten aller Art wurden wir eingeführt, und wie in der Frauenbewegung, so imponierte mir hier d ie Einheitlichkeit ihrer Organisation, deren gewaltige Räderwerke so selbstverständlich ineinander griffen wie die jener Dampfturbinen, bei deren Anblick wir nicht wissen, ob wir die praktische Kunst ihrer Schöpfer oder die fremdartig-neue Schönheit ihres Baus mehr bewundern sollen.
Der Kongreß selbst war eine Parade, wie fast alle Kongresse. Die Reden, die gehalten, die Berichte, die gegeben wurden, waren den Eingeweihten ihrem Inhalt nach aus Büchern und Broschüren bekannt. Der Austausch von Meinungen, der das wichtigste gewesen wäre, wurde an zweite Stelle gerückt, er hätte die Ordnung und den Glanz der Heerschau am Ende trüben können. So wäre als Gewinn allein die Anknüpfung persönlich er Beziehungen übrig geblieben, aber auch er war bei näherem Zusehen für mich nur gering: diese Frauen hatten mir nichts Neues zu sagen. Ihr A und O, das Frauenstimmrecht, war für mich in dem Augenblick erledigt gewesen, al s ich die Selbstverständlichkeit seiner Forderung erkannt hatte.
Bei einer internen Sitzung der Delegationen wurde i ch zur Präsidentin für Frauenstimmrecht in Deutschland gewählt. Meine ablehnende Haltung wurde unter allgemeinem Erstaunen als eine Aufgabe des Prinzips betrachtet.
»Sie alle haben ihre ganze Kraft auf die Lösung die ser einen Frage konzentriert,« sagte ich in dem Versuch, mich verständlich zu machen, »ich
bewundere Sie, aber ich kann Ihnen nicht folgen. Da s Frauenstimmrecht ist heute für mich nicht mehr das Ziel, für das ich mein Leben einsetze, es ist nur ein Ziel, nur eine Etappe ...«
Man verstand mich nicht, von irgend einer Seite fiel sogar das scharfe Wort: »... unbrauchbar für praktische Arbeit.«
Gleich nach der Schlußsitzung des Kongresses wechselte ich mein Domizil. Freunde von Stratford — ein liberaler Parlamentarie r und seine schöne elegante Frau — hatten mich in ihr Haus am Hydepark eingeladen. Alles trug dort den Anstrich ausgesuchtester Vornehmheit: vom Zeremoniell der Lebensweise, dem deutschen Hauslehrer und der französischen Gouvernante bis zu dem würdevollen, glattrasierten Bedienten un d dem niedlichen Kammermädchen. Hausherr und Hausfrau verstießen mit keiner Miene und keiner Bewegung gegen die Regeln der guten Gesellschaft, und doch wurde ich den Eindruck nicht los, der uns gegenüber guten Kopien großer Meisterwerke oft befällt: wir erstaunen über die Technik und vermissen um so schmerzhafter den Geist. Daß Stratford sich hier he imisch fühlte, mit allen Fibern die parfümierte Luft dieser von tausend Nich tigkeiten überladenen Salons einatmete, machte ihn mir noch fremder. Und als ich ihn in der Ethischen Gesellschaft reden hörte inmitten einer Korona von lauter typischen Vertretern der Geldaristokratie, denen seine Sitten predigten dieselbe angenehme Emotion boten wie die Moral der biblische n Geschichten den Frommen in der Kirche, da mußte ich mir seine Briefe, seine Schriften ins Gedächtnis rufen, um noch Georgs Freund in ihm zu erkennen.
Er ging den Weg, den ich nach dem Wunsche meiner Familie gehen sollte, — wie würde ich jemals imstande dazu sein?!
»Sie sind sehr ungerecht,« sagte er eines Tages, als ich ihm in meiner heftigen Art, die der Unruhe meines eigenen Innern entsprang, über seine Tätigkeit als »Modeprediger« Vorwürfe machte. »Sie kennen mich nur von der einen Seite.« Noch am selben Abend sollte ich die andere kennen lernen.
An der Ecke von zwei engen Straßen, beim Scheine ei ner trübe flackernden Laterne sprach er über die Ethik des Sozialismus. Zuerst blieben nur ein paar neugierige Bummler stehen, aber je stärker seine Stimme von den Mauern widerhallte, desto mehr Menschen sammelten sich um ihn. Müde, zerlumpte Gestalten krochen wie Nachtgespenster aus den Kelle rn hervor, Hoftüren öffneten sich, und umwogt von einer Wolke ekler Gerüche erschienen Frauen mit zerwühlten Zügen, halbwüchsige Mädchen, deren f reches Grinsen allmählich zuckendem Schluchzen wich. Mit wüstem Ge schrei stießen sich trunkene Burschen aus der nächsten Kneipe heraus, u nd nach und nach entzündeten sich Lichter des Verstehens in ihren eben noch blöd glotzenden Augen. Die Straße wurde schwarz vor Menschen. Strat ford sprach mit steigender Begeisterung. Um seinen roten Bart tanzten die Lichter der Laternen, seine Augen strahlten vom eigenen Feuer. Ich hörte kaum, was er sagte, ich sah nur die Wirkung seiner Worte. Aus den vertiertesten Gesichtern brach ein Schein von Menschentum hervor, ein froher Zug von Hoffnung verwischte tiefe Kummerfalten.
Wir gingen schweigsam durch die Nacht nach Hause. Vor der Türe reichte ich ihm die Hand.
»Ich würde Sie nach dem, was ich eben erlebte, um Verzeihung bitten, meiner Vorwürfe wegen, wenn ich nicht grade dadurch wüßte, daß Sie doppelt schuldig sind. Ein Mann wie Sie gehört der Sache des Sozialismus, und keiner anderen ...«
»Vielleicht haben Sie recht,« antwortete er leise, »wären nur nicht der Fesseln so viele, die uns an das andere Leben schmiedeten — —«
»Wir werden sie beide zerbrechen müssen —«
Im Hause meiner Gastfreunde drehte sich das Interesse fast ausschließlich um Fragen der Politik. Was für andere Frauen der Gesellschaft der Flirt, die Kunst, die Toilette, das Theater war: Reizmittel für ihr N ervensystem, — das war die Politik für Mrs. Dew. Fast täglich war ich mit ihr im Parlament; sei es, daß wir den Kommissionsberatungen des neuen Fabrikgesetzes beiwohnten — das Publikum hatte ohne weiteres Zutritt — oder in den Wandelgängen und auf der Themseterrasse zwischen Tee und Eis mit den Abgeord neten debattierten. Seltsam: man nahm uns ernst; vergebens erwartete ich auf den Zügen der Männer jenes gönnerhaft mitleidige Lächeln, mit dem meine Landsleute die politisierende Frau zu betrachten pflegten. Eine gewisse Zurückhaltung mir gegenüber entsprang weniger der Tatsache, daß ich ein Weib, als daß ich eine Deutsche war, die offenbar nur im Bilde der »guten Hausfrau« im Bewußtsein der Engländer lebte.
Schon war es gewitterschwül in den feierlich-hohen Hallen des Parlaments, bei jeder Gelegenheit drohte ein Wetterstrahl die Regierung zu stürzen, und die von Elektrizität geladene Luft drang bis hinter die engen Gitterstäbe der Damengalerie. Unruhiger als sonst raschelten die se idenen Kleider, unterdrückte Erregung durchzitterte die Flüstergespräche. Man achtete kaum der Redner im Saal, man erwartete nur die Katastrophe. Da plötzlich klang eine Stimme von unten empor, rollend wie ferner Donner, — dann wieder tief und schwer wie der Ton riesiger alter Kirchenglocken, — die Damen verstummten, — drängten sich enger an das Gitter, — und aus ihrer bequemen Stellung auf den weichen Polstersitzen reckten sich die Abgeordneten auf. Ich hörte nur die Stimme, den Redner sah ich nicht, aber ich empfand ihn als einen, der zum Herrschen bestimmt war. »Wer ist das?« — »John Burns!« — John Burns — der Verräter?! So war er in der deutschen sozialistischen Presse von dem Augenblick an bezeichnet worden, wo er sich grollen d von der englischen Partei losgesagt hatte. Noch am selben Abend stellte Mr. Dew ihn mir vor. Ich war zuerst enttäuscht: Alles überragend hatte ich den Träger dieser Stimme mir gedacht, nun trug er auf dem untersetzten kräftigen Körper nur den Kopf eines Riesen: Dunkle Haare erhoben sich widerspenstig übe r der breiten, scharf durchfurchten Stirn; hinter buschigen Brauen glänzte ein Augenpaar, das in seiner mächtigen Färbung und fieberhaften Lebendigkeit der Herkunft aus diesem helläugigen Volke Hohn sprach.
Er schüttelte mir kräftig die Hand. Die seinige war breit und schwer, sie zeugte von dem Hammer, den sie geführt hatte; — wie war es möglich gewesen, daß ihr die rote Fahne entglitt, die sie einst an der S pitze des Heers der Arbeitslosen durch das entsetzte Londongetragen hatte? War dieser Mann
nicht der geborene Schöpfer und Führer einer großen, einigen sozialistischen Partei Englands? Ich unterdrückte keine der Fragen, die sich mir aufdrängten.
»Ich weiß, daß die Sozialdemokraten, besonders die deutschen, mich für einen Verräter halten,« sagte er, »aber sie verstehen die Situation nicht. In Deutschland würde ich nicht anders handeln als Bebel und Liebknecht, aber hier ...« mit einer raschen Bewegung schob er die T eetasse beiseite und zeichnete auf die weiße Marmorplatte des Tischs ein en Punkt mit einem großen Kreis rings herum. »Sehen Sie,« fuhr er fort, »dieser Punkt ist der Sozialismus, um den Kreis herum steht die deutsche Regierung, Ihr Militär, Ihre Polizei, und diese treiben naturgemäß alle freidenk enden Elemente dem Mittelpunkt zu, mit dem sie sich, infolge des äußeren Drucks, fest vereinigen. Bei uns besteht der Mittelpunkt, aber der Kreis feh lt, und so strömen die Strahlen dieser sozialistischen Sonne ungehindert n ach allen Richtungen aus.« Ich lächelte ein wenig ungläubig. »Ich werde Ihnen beweisen, was ich sage,« fügte er rasch hinzu. »Sie kommen morgen mit mir —,« er ließ mir gar keine Zeit zu Einwendungen, sondern bestimmte Ort und Stunde für unsere Zusammenkunft.
Von da an trafen wir uns oft, im Parlament wie im Londoner Grafschaftsrat. Ich sah erstaunt, mit welchem Respekt Mitglieder aller Parteien diesem Manne begegneten, der noch vor wenigen Jahren im unterird ischen London Gasleitungen gelegt hatte; aber noch mehr erstaunte ich über den freudigen Stolz, mit dem er mir städtische Einrichtungen als »Strahlen der sozialistischen Sonne« erklärte, in denen ich nichts anderes sehen konnte als bürgerlich-soziale Reformen.
»Der deutsche Marxismus hat Sie blind und taub gema cht,« sagte er eines Tages ungeduldig, als ich mich für die Kommunalisierung der Verkehrsmittel durchaus nicht begeistern konnte. »Lassen Sie sich von den Fabiern in die Schule nehmen.«
»Den Fabiern?!«
»Eine Gesellschaft von ›Salonsozialisten‹, würde Deutschland sagen. Tüchtige Leute darunter ...«
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Mit einem ihrer Begründer und Leiter, Sydney Webb, machte er mich im Teezimmer des Grafschaftsrats bekannt. Ich wußte von seiner Frau, die als junges Ding ihr reiches Elternhaus verlassen hatte, um der Sache der Arbeiter zu dienen, und nun, gemeinsam mit ihrem Mann, durch Wort und Schrift für Genossenschaften und Gewerkschaften tätig war. Ich wußte auch, daß sie der Frauenbewegung fern, ja ihren Forderungen sogar vie lfach feindlich gegenüberstand. Gelesen hatte ich keines ihrer Bücher, nur mit einer gewissen Scheu ging ich darum zu ihr. Eine blühend schöne Frau fand ich, mit dem ganzen Reiz starken geistigen Lebens in den Zügen und einer Güte und Anmut des Wesens, der meine Steifheit nicht lange standhielt. Durch sie erfuhr ich von der Macht und Größe der englischen Gewerkschaftsbew egung und fand den Weg in die Häuser jener Arbeiter, die sich durch di e Kraft ihrer Organisation aus physischer und geistiger Versklavung befreit ha tten. Wie ein Stück verwirklichter Zukunftsstaat kam es mir vor, wenn ich sie draußen, vor Londons Toren, in ihren Gärten traf oder vor dem Kamin ihres Wohnzimmers oder am gut besetzten Tisch. Wahrhaftig: hier hatten die Strahlen der sozialistischen
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