30. Geheimnis um Virginia - Die zeitlose Romansammlung von Barbara Cartland
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Description

Als Virginia Grimwood den Marquis von Thane aufsucht um ihm vom Tod seiner alten Gouvernante zu berichten, fällt ihm gleich ihr schönes schneeweißes Haar auf. Doch an wen erinnert ihn Virginia? Als ihm klar wird, daß es sich um die heimliche Tochter seines Erzfeindes handelt, beginnt der Marquis, Pläne für das unschuldige Mädchen zu schmieden. Kann Virginia den erbitterten Krieg zwischen ihm und dem Herzog von Accrington zum Ende verhelfen? Barbara Cartland wurde 1901 geboren und stammt mütterlicherseits aus einem alten englischen Adelsgeschlecht. Nach dem Tod des Vaters und Großvaters ernährte ihre Mutter die Familie allein. Sie war zweimal verheiratet und hatte drei Kinder. Ihre Tochter Raine war die Stiefmutter von Prinzessin Diana von Wales. Sie schrieb über 700 Romane, die ein Millionenpublikum ansprechen. Barbara Cartland starb im Jahr 2000.

Informations

Publié par
Date de parution 14 octobre 2013
Nombre de lectures 3
EAN13 9781782138099
Langue Deutsch

Informations légales : prix de location à la page 0,0228€. Cette information est donnée uniquement à titre indicatif conformément à la législation en vigueur.

Extrait

GEHEIMNIS UM VIRGINIA
Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2016
Copyright Cartland Promotions 1985 Gestaltung M-Y Books
www.m-ybooks.co.uk
Geheimnis um Virginia
Wie gewöhnlich waren im White’s Club die elegantesten und vornehmsten Männer der Londoner Gesellschaft anzutreffen. Sie hatten sich in einem der geschmackvoll eingerichteten Salons zusammengefunden und nippten plaudernd an ihrem Portwein. Plötzlich wurde die Türe aufgerissen. „Die Teufel sind wieder am Kartentisch“, verkündete eine laute Stimme. Diese Nachricht löste einen allgemeinen Tumult aus. Von allen Seiten hörte man belustigtes Gelächter und wie auf Kommando hatten sich alle erhoben und drängten der Tür entgegen. „Was ist denn passiert?“ Fassungslos blickte ein Gutsherr aus Northumberland zu seinem Gastgeber, Lord Hornblotten. „Lieber Freund, haben Sie denn noch nichts von den beiden Männern gehört, die allgemein als ,Alter Teufel’ und als ,Junger Teufel’ bekannt sind?“ erwiderte dieser. „Ist es denn möglich, daß man in Northumberland so gar nichts von dem Londoner Gesellschaftsklatsch erfährt?“ „Was hat es mit den beiden auf sich?“ fragte der Gutsherr. „Nun, das ist eine lange Geschichte.“ Lord Hornblotten schenkte sich noch ein Glas Portwein ein und lehnte sich wieder in seinen Ledersessel zurück. „Der ,Alte Teufel’ ist der Herzog von Accrington. Wie ich zugeben muß, kann ich ihn nicht ausstehen.“ „Denn wie schon sein Spitzname verrät, ist er durch und durch böse.“ Der Gutsherr lachte amüsiert. „Offen gestanden, ja“, entgegnete Lord Hornblotten kurz. „Er ist eine Schande für den gesamten englischen Adel!“ „Nicht, wenn man bedenkt, wie schmählich der Herzog von Accrington seinen Freund, den Marquis von Thane, betrogen hat. Der Marquis von Thane - übrigens der Vater des sogenannten ,Jungen Teufel’ - war eine allseitig geachtete und beliebte Persönlichkeit.“ „Wie gut Sie doch das Gute vom Bösen zu trennen wissen,“ scherzte der Gutsherr. „In diesem einen Falle entspricht es leider den Tatsachen.“ Nachdenklich sah Lord Hornblotten vor sich hin. „Vor sehr langer Zeit war der Herzog von Accrington mit einem unbeschreiblich schönen Mädchen verlobt. Kurz bevor der Hochzeitstermin offiziell bekanntgegeben wurde, brannte dieses liebliche Wesen, dem die gesamte Männerwelt zu Füßen lag, mit dem Marquis von Thane durch.“ „Wie ärgerlich für den Herzog“, warf der Gutsherr trocken ein. „Er schäumte vor Zorn, aber die öffentliche Meinung stand trotzdem ganz auf der Seite der Braut, denn der Herzog war noch nie besonders beliebt gewesen. Außerdem hatte sich herumgesprochen, daß das Mädchen von ihren Eltern zu dieser Heirat gezwungen werden sollte, da sie eine glänzende Partie für sie gewesen wäre.“ „Der Marquis war sicherlich auch kein schlechter Fang.“ „Das ist richtig. Sein Adelstitel war natürlich von niedrigerem Rang. Aber davon abgesehen nahm er eine bedeutende gesellschaftliche Stellung ein und sein Vermögen war noch größer als das des Herzogs. Obendrein war er eine sehr anziehende Persönlichkeit. Wahrscheinlich wäre es jeder Frau schwer gefallen, seinem Charme und seiner Liebe zu widerstehen. Aber zweifellos hat er Lady Harriet aus ganzem Herzen geliebt.“ „Und fortan waren sie glücklich und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“, spottete der Gutsherr. „Es war tatsächlich eine glückliche Ehe. Der Marquis ließ sich hier in London kaum noch sehen. Er hatte sich auf seine Landgüter zurückgezogen und widmete sich ganz seiner Familie. Seine Frau hatte ihm bald einen Erben geschenkt.“ „Und der Herzog“, fragte der Gutsherr, der ungeduldig auf die Pointe der Geschichte
wartete. „Der Herzog heiratete eine irische Schönheit, der es letztlich zu verdanken ist, daß sich die beiden Männer wieder versöhnten.“ „Das ist ihr wirklich geglückt?“ „Sie schlossen sogar Freundschaft! Der Herzog und seine irische Frau setzten dann nacheinander sieben Töchter in die Welt bis endlich, als man bereits jegliche Hoffnung aufgegeben hatte, der langersehnte Sohn geboren wurde.“ „So hatten also beide einen Erben. Was hätte ihr Glück jetzt noch trüben können?“ „Der Marquis verunglückte eines Tages auf der Jagd. Seine Verletzungen waren so verhängnisvoll, daß wir alle um sein Leben bangten. Wir, seine Freunde, konnten schließlich nichts anderes mehr für ihn tun, als mit tiefer Trauer sein nahes Ende abzuwarten.“ Es entstand eine lange Pause. „Und das war der Augenblick, auf den der Herzog jahrelang gewartet hatte“, fügte Lord Hornblotten schließlich hinzu. „Was soll das heißen?“ Verständnislos blickte der Gutsherr auf. „Der Herzog hatte von dem langsamen Dahinscheiden seines einstigen Rivalen erfahren. Er meldete unverzüglich seinen Besuch auf Schloß Thane an. Ich vergaß zu erwähnen, daß die beiden Besitztümer aneinander grenzten. Im Verlauf des Gespräches, das sie am Krankenbett führten, schlug der Herzog vor, eine Schule in einem abgelegenen Dorf errichten zu lassen, das zur Hälfte auf dem Besitz des Herzogs lag und zur anderen Hälfte auf dem des Marquis. Beide Männer mußten also ihre Einwilligung dazu geben. Eine völlig unbedeutende Angelegenheit.“ Lord Hornblotten hob die Schultern. „Ohne groß darüber nachzudenken, gab der Marquis seine Zustimmung. Daraufhin ließ der Herzog einen Notar ins Krankenzimmer rufen, den er vorsichtshalber mitgebracht und in der Halle hatte warten lassen. Er entwarf mit ihm ein Dokument, das er dem Marquis zur Unterzeichnung vorlegte.“ „Ich ahne ein böses Ende“, unterbrach ihn der Gutsherr. „Mit Recht“, entgegnete Lord Hornblotten. „Der Marquis war nämlich so kurzsichtig, daß die Worte auf dem Schriftstück vor seinen Augen verschwammen. Er ließ sich deshalb den Text von seinem vermeintlichen Freund vorlesen und setzte dann vertrauensvoll seinen Namenszug unter das Dokument. Als ihn der Herzog dann darum bat, auch noch eine Abschrift desselben Dokumentes zu unterschreiben, kam er auch dieser Aufforderung nach, ohne auch nur einen Augenblick lang Verdacht zu schöpfen. Nach seinem Tode kam dann der ganze Betrug ans Licht. Man entdeckte, daß das zweite Schriftstück, das der Marquis unterzeichnet hatte, ein Testament war. Darin wurde dem Herzog das gesamte Vermögen des Marquis vermacht.“ „Was für ein teuflischer Plan“, rief der Gutsherr entsetzt. „Es war vor allem ein genau ausgeklügelter Plan. Der Herzog muß ihn jahrzehntelang in seinem Kopf gehabt haben.“ „Und was geschah dann?“ „Der Sohn des Marquis, ein ungewöhnlich sympathischer junger Mann, erhob selbstverständlich Einspruch gegen das Testament. Von dem riesigen Vermögen, das einst seinem Vater gehört hatte, besaß er nur noch das Familienschloß und das wenige Land, das es unmittelbar umgab. Aber juristisch gesehen war das Testament einfach nicht anzufechten, denn es war ja ein Notar zugegen gewesen, der es beglaubigt hatte.“ „Wie unerträglich für einen jungen Menschen, sein Leben, seine Zukunft derart ruiniert zu sehen!“ „Es war so unerträglich für den jungen Marquis, daß er sich über Nacht in das verwandelte, was man inzwischen als ,Jungen Teufel’ bezeichnet.“ „Was hat er denn getan?“ „Haß ist eine seltsame Leidenschaft“, erklärte Lord Hornblotten. „Aus Haß nahm der Herzog Rache an seinem Feind. Er hatte das Gift über mehr als dreißig Jahre in sich
genährt, ohne daß auch nur einer von uns etwas davon gemerkt hätte. Der junge Marquis dagegen hat nie versucht, seinen Haß zu verbergen. Jeder weiß, daß er seine Lebensaufgabe darin sieht, den Verrat an seinem Vater zu rächen und das ihm zustehende Erbe doch noch anzutreten.“ „Aber welche Chance hat er denn dazu?“ „Ich vergaß zu erwähnen, daß der Herzog ein leidenschaftlicher Spieler ist“, fügte Lord Hornblotten hinzu. „Ein sehr erfahrener und schlauer Spieler, dem das Glück meist zur Seite steht.“ „Umso schlimmer für den jungen Marquis!“ „Das habe ich anfangs auch gedacht. Aber heute wird es wohl in ganz England niemanden geben, der ein besserer Kartenspieler wäre als der Marquis. Den Herzog von Accrington natürlich ausgenommen. Das nötige Wissen hat er sich in den finstersten Spelunken Londons angeeignet, von Falschspielern, Scharlatanen, kurz Gaunern aller Art. Ein Jahr lang hat er mit diesem ganzen Pöbel zusammengelebt und Tag und Nacht Karten gespielt, bis ihm das mehr bedeutete als Essen und Trinken. Als er schließlich zu seinen Freunden zurückkehrte, hatte er sich grundlegend geändert.“ „Das ist doch nicht möglich!“ „Leider doch. Er schien um Jahre gealtert zu sein. Von seinem einstigen Charme und seiner Liebenswürdigkeit war nichts mehr zu spüren. Er ist heute ein zynischer, unzugänglicher, vom Haß zerfressener Mann, der nur noch an einer einzigen Person Interesse zu haben scheint - an dem Herzog von Accrington.“ Lord Hornblotten beugte sich vor und füllte das Glas seines Freundes mit Portwein. „Und was ist aus seinem Erbe geworden?“ „Er versucht es vom Herzog zurückzugewinnen. Sie spielen niemals um Geld, sondern immer nur um Teile des Besitzes, der einst dem Vater des Marquis gehört hatte. So wechseln diese Ländereien heute ständig ihren Besitzer, wie es der Zufall der Karten gerade will. Mit anderen Männern spielt der Marquis selbstverständlich um Geld. Er scheint auf diese Weise inzwischen wieder zu einem beachtlichen Vermögen gekommen zu sein, so daß er sich eigentlich auf sein Familienschloß zurückziehen und ein komfortables Leben führen könnte. Leider hat er daran kein Interesse. Er ist von dem Gedanken besessen, sich eines Tages an dem Herzog zu rächen. Das scheint sein einziges Lebensziel zu sein.“ „Und wie steht es mit Frauen?“ „Haben Sie jemals einen reichen Lebemann gesehen, der nicht von schönen Frauen umgeben wäre, die alle darauf hoffen, ihn durch ihre Liebe ändern zu können?“ Lord Hornblotten lächelte böse. „Oliver ist ein junger Mann, der eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf das schöne Geschlecht ausübt. Er nimmt sich bedenkenlos, was er bekommen kann.“ „Und im Augenblick sitzt er wieder mit dem Herzog am Spieltisch?“ „So ist es. Der Marquis ist immer darüber informiert, wo sich der Herzog gerade aufhält. Kaum sitzt der Herzog am Kartentisch, läßt sich der Marquis auf der anderen Seite des Tisches nieder.“ „Sie haben mich neugierig gemacht. Lassen Sie uns hinaufgehen, damit ich die beiden mit eigenen Augen sehen kann.“ Lord Hornblotten erhob sich schwerfällig und führte seinen Freund die geschwungene Treppe hinauf in das erste Stockwerk. Sie blieben in der Tür zum Kartenzimmer stehen, da es unmöglich schien, noch weiter vorzudringen. In dichten Reihen standen die Zuschauer um den kleinen Kartentisch herum und verschlangen mit ihren Blicken jede Bewegung der Spieler. Auf Zehenspitzen versuchte der Gutsherr, einen Blick auf die beiden erbitterten Feinde zu werfen. Der Herzog von Accrington, bekannt als der ,Alte Teufel’, hatte ein fast gespenstisches Aussehen. Sein Gesicht war grau und verfallen und von scharfen Linien gezeichnet. Nur seine Augen über der stark hervorspringenden Nase zeigten, daß noch Leben in ihm war.
Mit leidenschaftlicher Anteilnahme schienen sie jede Bewegung seines Partners wahrzunehmen. Der Marquis von Thane dagegen, bekannt als ,Junger Teufel’, konnte nicht älter als achtundzwanzig sein, obwohl er wesentlich reifer wirkte. Er hatte sich lässig zurückgelehnt und verfolgte mit provozierender Gleichgültigkeit das Spiel. Nur seine engsten Freunde wußten, daß er sich hinter seinen halb geschlossenen Lidern aufmerksam und angespannt auf seinen Gegner konzentrierte. Man hätte ihn als außergewöhnlich gutaussehend bezeichnen müssen, wäre nicht dieser verächtliche, zynische Ausdruck in seinem Gesicht gewesen. Es war kaum möglich, sich vorzustellen, daß er jemals lächeln würde oder daß er überhaupt an irgendetwas im Leben Anteilnahme zeigen könnte. Sie spielten schweigend, und als der Marquis ein As auslegte, schienen die Zuschauer erleichtert aufzuatmen. Mit keiner Regung verriet der Herzog, daß er verloren hatte. Er verharrte schweigend und unbewegt, bis ein Lakai wie in einem sich häufig wiederholenden Ritual ein Glas Wein brachte. Wortlos nippte der Herzog an dem Getränk, bis ein anderer Lakai mit einem Dokument und Schreibzeug erschien. Er setzte seinen Namenszug auf das Papier und warf den Federkiel aus der Hand, so daß sich ein schwarzer Tintenklecks auf dem grünen Filz des Spieltisches bildete. Ebenso wortlos nahm der Marquis von Thane das unterzeichnete Schriftstück an sich, erhob sich abrupt und wandte sich der Tür zu. Die Umstehenden wichen auseinander, um ihm Platz zu machen. „Guten Abend, Oliver“, grüßte Lord Hornblotten. „Guten Abend, Mylord.“ Die Stimme des Marquis war kalt und abweisend. Ehe Lord Hornblotten das Wort wieder an ihn richten konnte, war er bereits an der Treppe angelangt und ging hinunter in die Halle. „Was ist denn los? Warum spielt er nicht weiter?“ fragte der Gutsherr leise seinen Freund. „Sie spielen niemals länger als zwei Stunden“, erklärte Lord Hornblotten. „Manchmal treffen sie sich mehrmals im Laufe eines Tages, aber eine Sitzung dauert immer nur zwei Stunden.“ Der Marquis hatte inzwischen Hut und Mantel entgegengenommen und schickte sich an, das Haus zu verlassen, als ein großer, breitschultriger Mann in die Halle trat. Er trug die Uniform der Königlichen Gardedragoner und sein gutmütiges Gesicht hellte sich beim Anblick des Marquis auf. „Wie ist es heute ausgegangen, Oliver?“ fragte er. „Ich habe Chelsea zurückgewonnen. Zum dritten Mal übrigens. Und zum ersten Mal gehört mir Lambeth.“ „Was für ein Triumph. Schade, daß ich zu spät komme. Ich empfinde unendliche Genugtuung dabei, wenn mein Onkel verliert. Das ist der einzige Moment, wo er wie ein ganz normaler Sterblicher leidet, wenn man es ihm auch nicht ansieht.“ „Laß uns später darüber sprechen, Alistair“, unterbrach ihn der Marquis gelangweilt. „Ich möchte jetzt nach Hause fahren. Bist du später im Club?“ „Bei meinem bescheidenen Einkommen bleibt mir wohl gar nichts anderes übrig.“ „Dann trinken wir nachher einen Schluck auf den Niedergang Seiner Hoheit, des Herzogs von Accrington“, versprach der Marquis mit gleichgültiger Stimme und verließ mit eiligen Schritten das Haus. Seine Kutsche, ein prachtvolles Viergespann, schien in London ebenso viel Aufsehen zu erregen wie die königlichen Fahrzeuge. Denn obwohl das Gefährt erst vor wenigen Sekunden vorgefahren war, hatte sich bereits eine Menschenansammlung gebildet, die neugierig auf den Marquis sah. Bewundernde Blicke folgten ihm, als er sich mit elegantem
Schwung auf den Kutschbock setzte, die Zügel ergriff und davonbrauste. Sein Kutscher, der respektvoll in einigem Abstand gewartet hatte, konnte gerade noch rechtzeitig auf den Sitz neben seinem Herrn springen. Der Marquis trieb die Pferde zu beträchtlicher Geschwindigkeit an, denn die Straßen in London waren fast menschenleer. Die Geschäfte waren bereits geschlossen und die Menschen hatten sich zurückgezogen, um sich auf den Abend vorzubereiten. Sie fuhren die Berkeley Street entlang bis zum Berkeley Square und als sie von hier aus in die Charles Street einbogen, lief plötzlich völlig unerwartet eine Frau vom Bürgersteig auf die Straße. Die Pferde waren fast schon über ihr. Im Bruchteil einer Sekunde erkannte sie die Gefahr, in der sie schwebte. Sie versuchte, sich wieder auf das Trottoir zu retten, glitt jedoch auf dem durchweichten Boden der Straße aus und fiel der Länge nach hin. Geistesgegenwärtig riß der Marquis die Pferde herum. Wie durch ein Wunder gelang es ihm, die Kutsche auf die Mitte der Straße zu lenken, so daß die Frau nicht von den Rädern überrollt wurde. Dann hielt er mit einem kräftigen Ruck die Pferde an, warf die Zügel seinem Kutscher zu und sprang auf die Straße. Als er bei der Frau anlangte, sah er, daß ein Herr ihr bereits wieder auf die Beine geholfen hatte. Er erkannte Sir Roger Crowley, einen schwerreichen Mann der Londoner Gesellschaft, der für seine Aufdringlichkeit gegenüber Frauen bekannt war. Prüfend heftete er seinen Blick auf die Frau, die bestürzt zu ihm aufsah. Überrascht stellte er fest, daß sie fast noch ein Kind war. Ihr einfaches, altes Musselinkleid war über und über mit Schlamm bedeckt und ihr billiger Strohhut, den ein munteres blaues Band schmückte, hing schief auf ihrem Kopf. Ihre winzigen Hände zitterten, als sie versuchte, ihn wieder zurecht zu schieben. „Sind Sie verletzt, Madam?“ erkundigte er sich höflich. „Sie hat nur einen kleinen Schock bekommen“, ergriff Sir Roger das Wort. „Es besteht kein Grund zur Beunruhigung, Mylord, ich werde mich um die junge Dame kümmern.“ „Vielen Dank“, antwortete das Mädchen mit einer leisen, eigentümlich lieblichen Stimme. „Ich fühle mich durchaus imstande, mir selbst zu helfen.“ „Ein Glas Wein wird Ihnen guttun“, versuchte Sir Roger sie zu überreden. „Geben Sie mir Ihren Arm.“ Der Marquis wollte sich gerade wieder abwenden, als ihn die aufgebrachte Stimme des Mädchens aufhorchen ließ. „Lassen Sie mich endlich in Ruhe, Sir. Genügt es nicht, daß ich Ihretwegen so kopflos auf die Straße gelaufen bin?“ „Darüber plaudern wir besser an einem gemütlicheren Ort“, beruhigte sie Sir Roger und ergriff ihren Arm. „Ich gehe auf keinen Fall mit Ihnen!“ Das Mädchen hatte sich aus seinem Griff befreit und blickte trotzig auf. „Ich habe Sie nur gebeten, mir den Weg zum Thane House zu zeigen.“ „Haben Sie Thane House gesagt?“ fragte der Marquis gedehnt. „Ja, Mylord.“ Eifrig drehte sie sich ihm zu. „Können Sie mir vielleicht den Weg dorthin erklären? Dieser Herr hier scheint mich nicht zu verstehen.“ „Vielleicht wollte er Sie nicht verstehen“, spottete der Marquis. „Mylord, das können Sie wohl kaum beurteilen.“ Sir Roger blickte ärgerlich zum Marquis hinüber. Er war ein Mann in mittleren Jahren, mit schlaffen und verlebten Gesichtszügen. „Ganz zweifellos möchte die junge Dame zum Thane House“ erwiderte der Marquis scharf. „Niemand wird bestreiten, daß ich den Weg am besten kenne.“ Damit verbeugte er sich ironisch und reichte dem Mädchen, das verständnislos von einem zum andern sah, den Arm. „Gestatten Sie mir, Sie zum Thane House zu begleiten, Madam. Es liegt nur ein paar Häuser weiter, noch auf dieser Seite des Platzes.“
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