Polybios über pietas, religio und fides (zu Buch 6, Kap. 56). Griechische Theorie und römisches Selbstverständnis - article ; n°1 ; vol.22, pg 251-272
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Polybios über pietas, religio und fides (zu Buch 6, Kap. 56). Griechische Theorie und römisches Selbstverständnis - article ; n°1 ; vol.22, pg 251-272

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Description

Publications de l'École française de Rome - Année 1974 - Volume 22 - Numéro 1 - Pages 251-272
22 pages
Source : Persée ; Ministère de la jeunesse, de l’éducation nationale et de la recherche, Direction de l’enseignement supérieur, Sous-direction des bibliothèques et de la documentation.

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Publié par
Publié le 01 janvier 1974
Nombre de lectures 63
Langue Deutsch
Poids de l'ouvrage 1 Mo

Extrait

Heinrich Dörrie
Polybios über pietas, religio und fides (zu Buch 6, Kap. 56).
Griechische Theorie und römisches Selbstverständnis
In: Mélanges de philosophie, de littérature et d'histoire ancienne offerts à Pierre Boyancé. Rome : École Française
de Rome, 1974. pp. 251-272. (Publications de l'École française de Rome, 22)
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Dörrie Heinrich. Polybios über pietas, religio und fides (zu Buch 6, Kap. 56). Griechische Theorie und römisches
Selbstverständnis. In: Mélanges de philosophie, de littérature et d'histoire ancienne offerts à Pierre Boyancé. Rome : École
Française de Rome, 1974. pp. 251-272. (Publications de l'École française de Rome, 22)
http://www.persee.fr/web/ouvrages/home/prescript/article/efr_0000-0000_1974_ant_22_1_1679Heinrich Dörrie
POLYBIOS ÜBER PIETAS, RELIGIO UND FIDES
(ZU BUCH 6, KAP. 56)
Griechische Theorie und römisches Selbst Verständnis
I - Vorbemerkungen
a. Bisher herrscht unter den Gelehrten, die sich zu Polybios 6,56 ge
äußert haben (*), das Urteil vor, Polybios habe sich von seinem Eatio-
nalismus leiten lassen, wenn er von römischer Eeligion als einer krass
ausgeprägten δεισιδαιμονία (2) spricht. Trifft es nun zu, daß Polybios sich
zu sehr von der ihm selbstverständlichen Betrachtungsweise hat leiten
lassen, so daß er dem, was er in Kom vorfand, nicht gerecht wurde? Ein
solches Urteil ist dazu geeignet, dem vollen Verständnis dieses wichtigen
Kapitels im Wege zu stehen; darum soll der Versuch gemacht werden,
abzuwägen, inwieweit Polybios' Worte griechische Theorie, und inwie
weit sie ein römisches Selbstverständnis widerspiegeln, dem Polybios in
Eom begegnete.
Es kann und soll nicht bestritten werden, daß Polybios die religio
der Eömer von seinem Standort aus sieht, beschreibt und erklärt. Sein
Standort ist der des gebildeten Griechen hellenistischer Zeit. Wenn Po
lybios auch kaum, wahrscheinlich garnicht, von der Philosophie seiner
Zeit geprägt ist, so ist doch der rationalistische Grundzug des « Pragmat
ismus » (3), den er mit Überzeugung vertritt, nicht zu verkennen. Nur
ist mit dem Schlagwort «Bationalismus» wenig gesagt und nichts erklärt:
Als ein knappes Jahrhundert später Cicero und Varrò zum römischen
Sakralwesen das Wort ergriffen, haben sie einen oft weit radikaleren
Eationalismus aufgewendet, um Sinn und Ordnung der res sacrae auf-
i1) U. v. Wilamowitz: Der Glaube der Hellenen, 2II 388/9; F. W. Walbank:
A Historical Commentary on Polybius, 1957, z.St. 741/2; K.v. Fritz: The Theory of
Mixed Constitution in Antiquity, 1954, 396 f.; Franz Cumont: Lux perpetua, 1949,
109 f.
(2) Vgl. unten S. 262 f.
(3) Hier ist auf Polybios' grundsätzliche Bemerkung 12,28,3 zu verweisen. 1ί)Δ HEINRICH
zufìnden (^; ihnen war es sowenig möglich wie zuvor dem Polybios, rö
mische religio bis auf ihre Wurzeln zuri'ickzuverfolgen. Vielmehr besteht
zwischen Polybios und denen, die nach ihm kamen, folgender konstitu-
tiver Unterschied: Unter dem Einfluß des Poseidonios suchten Cicero und
Varrò nach einem absolut gültigen, von der Natur her motivierten Eecht.
Polybios dagegen stand mit Entschiedenheit auf dem Standpunkt, daß
alle Eechts-Setzung und Eechtswahrung allein Menschen zu Urhebern
habe; von diesem vollauf anthropozentrischen Standpunkt wird unten
S. 25 t f. die Eede sein.
b. So wenig der primär griechische Standpunkt des Polybios in Zweif
el gezogen werden kann, so wenig sollte man die Augen davor ver
schließen, daß Polybios die Äußerungen römischer religio annähernd so
bewertet, wie sie von Eömern durchweg bewertet wurde. Gewiß, Polybios
gibt dem Ganzen durch eine absichtsvolle Wortwahl eine negative, eine
abwertende Färbung: Gegen solche δεισιδαιμονία gibt es eine ganze Eeihe
von Bedenken; Polybios führt seinen Leser den Weg, den er vermutlich
selbst gegangen ist: Nach Überwindung einigen Widerwillens, und unter
Zurückstellung bestimmter, sonst wohl begründeter Werturteile gelangen
der Autor und seine Leser zu dem Ergebnis, daß in der Haltung der Eö-
mer der religio gegenüber in der Tat die propria virtus zum Ausdruck
gelangt. Und es ist eben diese propria virtus, welche die bisherigen Er
folge Borns bewirkt hat, und welche die künftigen legitimiert. Kurz,
wenn man von der abwertenden Überhöhung absieht, die mit dem Worte
δεισιδαιμονία gegeben ist, dann spricht aus Polybios' Worten die in Eom
seit früher Zeit (2) tief eingewurzelte Überzeugung, daß sich Eom dank
der immer wieder geübten pietas und religio in der pax deum befindet,
und daß diese allein Eom auszeichnende virtus das Unterpfand aller
Erfolge ist. Kurz, der Text des Polybios muß unter griechischem und
unter römischem Gesichtswinkel verstanden werden; den nachstehenden
(*) Augustins Polemik gegen Varros Versuch, eine Ordnung aufzufinden, ba
siert vor allern auf den Widersprüchen, die Vano in Kauf nahm, um seine theologia
naturalis mit den tatsächlich zu Rom praktizierten Kulten in Einklang zu bringen;
dazu Augustin, civ. dei 4,22; 6,9; 7,28 u.ö.
(2) Hierzu ist das Schreiben heranzuziehen, das der Prätor M. Valerius Messalla
i.J. 193 v.Chr. an die Bürger von Teos richtete; Dittenberger, Syll.3 601,13: ότι μεν
διόλου πλείστον λόγον ποιούμενοι διατελοΰμεν τήν προς τους θεούς εύσεβείαν, μάλιστα αν τις
στοχάζοιτο εκ της συναντωμένης ήμϊν εύμενείας δια ταϋτα —αρά τοϋ δαιμονίου * ού μήν άλλα και
εκ πλειόνων πεπείσμεθ-α συμφανή γεγονέναι τήν ήμετέραν εις το θείον προτιμίαν. Das ist
griechisch stilisiert (übrigens ganz vortrefflich) — und es ist eminent römisch gedacht. ÜBER « PIETAS, RELIOIO » UND « FIDES » 253 rOLYBIOS
Seiten stellt sich die Aufgabe, beides gegen einander abzuwägen — wobei
sich ergeben wird, daß die beiden Seiten legitimen Verständnisses keines
wegs in Widerspruch zu einander treten: Polybios hat einen römischen
Sachverhalt zwar seiner interpretatio Gracca unterworfen, ist ihm dabei
aber (von einer Ausnahme abgesehen, vgl. unten S. 207 f.) vollauf gerecht
geworden.
e. Das Kapitel, in welchem Polybios die Einstellung der Römer zu
den Göttern — ή ττερί ίεων διάληψις — behandelt, steht am Ende des
wTeit ausgesponnenen Vergleiches zwischen dem 'Ρωμαίων ττολίτευμα und
anderen, nach Polybios' Meinung vergleichbaren Staaten (*). Dabei darf
nicht überhört werden, daß Polybios nun, nachdem mancherlei Vergleiche
angestellt sind, sich dem zuwendet, was er als die μεγίστη διαφορά be
zeichnet. Hier wird unüberhörbar eine Klimax gebildet: Jetzt kommt
ein Punkt zur Sprache, zu dem kaum mehr ein Vergleich zulässig ist.
Diese Klimax hat Polybios mit bemerkenswertem Aufwand an st
ilistischen Mitteln (vgl. unten S. 261) herausgearbeitet. Trotzdem lehrt
ein Vergleich von 56,13-15 mit dem Beginn des Kapitels, 56,1-5, daß
Polybios (seiner theoretischen Erwägungen ungeachtet) fortfährt, den
selben Gegenstand weiter zu behandeln: 56, 1-5 geht es um die Haltung
dem Geld gegenüber. In Karthago scheint die Wahl-Bestechung toleriert
zu werden, in Rom gilt sie als todeswürdiges (2) Verbrechen. Analog wird
56,13-15 folgender Vergleich gezogen: In griechischen Städten sichert
man sich durch Kontrollen (3), durch Siegel und durch Zeugen (4) dagegen,
daß öffentliche Gelder veruntreut werden — oft genug ist jede Vorsicht
i1) Polybios sondert 6,43,2 und 8 die attische und die thebanisehe Staatsform
aus; sie lassen sich mit Rom nicht vergleichen; 6,48,7-10 begründet Polybios, warum
ein Vergleich mit Piatons idealem Staat unangemessen ist. So bleiben Vergleiche
übrig mit der Staatsform, die es einst auf Kreta gab (6,45-47), mit der Spartas (6,48-
50) und endlich mit der Karthagos (6,51-56,5). Vgl. Th. Cole: The Sources and Com,-
position of Polybius VI; Ilistoria, 13, 1964, 124-136.
(2) Polybios 6,56,5; vgl. Tli. Mommsen: Rom. Strafrecht 1899/1955, 668 A 3;
dieser Satz des Polybios ist das einzige Zeugnis für eine derart strenge Verfolgung
des ambitus.
(3) Dem άντιγραφεύς oblag ersichtlich eine Kontrollfunktion; er hatte eine ge
sonderte, unabhängige Aufzeichnung über eingehende und über ausgezahlte Betrage
zu fuhicn; Aischines 3,25; Demosth. 22,70 Ende.
(4) Der ungemeine Aufwand, den man « bei den Griechen » betreibt, um der
Veruntreuung vorzubeugen, wird von Polybios mit hörbarer Ironie dargestellt; die
Zahlen der daran Beteiligten (10 Kontrolleure oder Gegenrechner, die jeder sein
Siegel anbringen, dazu 20 Zeugen) sind bis zur Unglaubwürdigkeit übertrieben. 254 HEINRICH DÖRRIE
umsonst. In Eom dagegen wird die durch Eid (x) bekräftigte πίστις = fides
zuverlässig gewahrt. Eine fast epigrammatisch zugespitzte Antithese
fasst das Bisherige zusammen: Selten hat bei den Griechen jemand reine
Hände — άπεχόμενον . . . των δημο

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