Sisyphos   Kinder
84 pages
German, Middle High (ca.1050-1500)

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Sisyphos'' Kinder , livre ebook

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Description

Es irren die Menschen, solang sie streben. Und sie streben, solang sie leben. Hoffentlich. Und wonach streben wir? Nach dem Glück. Als ob es Rezepte gäbe. Als ob der Glücksbegriff transferierbar wäre. Was die eine glücklich macht, ist dem andern Ärgernis. Was aber alle verbindet: die Sehnsucht.Was treibt uns Menschen um? Es sind so unterschiedliche Dinge, nach denen wir uns sehnen. Ganz profan: Sie will einen Mann; er sucht eine Frau. Oder: Er möchte alles festhalten. Sie wehrt sich gegen den körperlichen Zerfall. Einer erhebt das Warten zur wahren Seinsweise, und die andere möchte nichts verpassen. Der Berggänger kämpft gegen die Erosion. Sisyphos'' Kinder.Die Geschichten zeigen Menschen mit ihren Obsessionen und Sehnsüchten. Von Anna bis Zoé. Glück. Lebensaufgabe. Sinn. Ist das überhaupt zu erreichen? Oder reicht es aus, eine Idee zu verfolgen, im Bewusstsein, das Ziel nie erreichen zu können? Galgenhumor als Notwehr? Wohlige Melancholie. Man müsse sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen, sagt Albert Camus.

Informations

Publié par
Date de parution 18 mai 2018
Nombre de lectures 1
EAN13 9783859903425
Langue German, Middle High (ca.1050-1500)
Poids de l'ouvrage 1 Mo

Informations légales : prix de location à la page 0,0660€. Cette information est donnée uniquement à titre indicatif conformément à la législation en vigueur.

Extrait

Peter Weingartner Sisyphos’ Kinder edition 8
Peter Weingartner
Sisyphos’ Kinder
Ein Alphabet der Sehnsucht
Verlag und Autor danken herzlich der Gemeinde Triengen, der Gemeinde Adligenswil und der Kulturförderung des Kantons Luzern / swisslos für ihre Unterstützung.
Besuchen Sie uns im Internet: Informationen zu unseren Büchern und AutorInnen sowie Rezensionen und Veranstaltungshinweise finden Sie unter www.edition8.ch
Die edition 8 wird im Rahmen des Förderkonzepts zur Verlagsförderung in der Schweiz vom Bundesamt für Kultur mit einem Förderbeitrag für die Jahre 2016–2018 unterstützt.
März 2018, 1. Auflage, © bei edition 8. Alle Rechte, einschliesslich der Rechte der öffentlichen Lesung, vorbehalten. Lektorat: Geri Balsiger, Korrektorat: Verena Stettler, Typografie, Umschlag: Heinz Scheidegger, Umschlagfoto: Peter Weingartner; e-Book: mbassador GmbH, Luzern
Verlagsadresse: edition 8, Quellenstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41/(0)44 271 80 22, info@edition8.ch
eISBN 978-3-85990-342-5
Anna
M orgens um halb sechs sitzt Anna auf dem Balkon ihres Hauses und raucht. Der Balkon ist gedeckt; auf das Wetter muss sie keine Rücksicht nehmen. Es sei denn, es regnet quer. Seit einer halben Stunde dürfen die Lastwagen fahren, und der erste Ansturm aus den Verteilzentren im Mittelland Richtung Süden ist vorbei. Das Brummen der Lastwagen, wenn sie von der Autobahn kommend das Tal hochfahren, hat Annas Wachwerden vor der Zeit befördert. Das ist jeden Morgen so, weil sie bei offenem Fenster schläft. Sie schläft auch im Winter bei offenem Fenster. Und auch im Winter raucht sie ihre erste Zigarette auf dem Balkon, eine Wolldecke um die Beine geschlagen, die Füsse in Wollsocken.
Anna steckt sich noch eine Zigarette an. Ihr graubraunes Nachthemd hebt sich kaum ab von der Farbe des Hauses. Nicht frühmorgens, wenn alle Nachthemden grau sind. Das Dorf erwacht; der Nachbar schliesst die Türe der Garage sanft, bevor er sich aufs Fahrrad schwingt und Richtung Fabrik davonfährt. Es ist jeden Morgen dasselbe, denkt Anna. Man könnte die Uhr nach seinen Tätigkeiten richten: Licht an, Gang zum Briefkasten, die Schlüssel am Bund wie Glöckchen, das Türchenblech scheppert, später die Garagentüre, Abfahrt. Im Winter kommt bei Schneefall das Räumen des Vorplatzes dazu. Wenn es möglich wäre, das Dorf aus Distanz zu betrachten und im Zeitraffer, wenn man die ganze Welt dergestalt betrachten könnte, sähe man eine höchst komplizierte Maschine, die in einem Rhythmus funktioniert, der mit Tag und Nacht zu tun hat, aus dem aber auch, aus räumlicher und zeitlicher Distanz, die Jahreszeiten abzulesen wären. Ein Erdenpuls. Wie für die Eintagsfliege ein Tag ein Leben bedeutet, so gibt es mit Sicherheit Wesenheiten, denen ein Menschenleben wie ein Tag vorkommen muss, nicht der Wahrnehmung, geschweige der Erwähnung wert, stellt Anna sich vor. Der Stein, der Humus, der Bach. Im Naturhistorischen Museum in der Stadt hatte sie eine Kiste voller Sand gesehen und die Legende dazu gelesen: Jedes Sandkorn steht für eine ganze Galaxie.
Anna steht auf. Der Wassersieder hat aufgehört zu prusten. In der Küche giesst sie sich einen Kaffee auf. Das Müesli, das sie sich gleich nach dem Verlassen des Bettes zubereitet hat, verfügt nun über jene Konsistenz, die Anna passt. Aufgeweicht von der Milch gleiten die Haferflocken widerstandslos über die Zunge die Speiseröhre hinunter in den Magen. Hat sie an der Milch gespart, büsst sie dafür: Die Flocken sind zu trocken, bleiben oben am Gaumen kle-ben.
Die Glocken der Kirche beginnen zu läuten. Es ist sechs Uhr. Von ihrem Balkon kann sie den Kirchturm sehen. Um die Zeit abzulesen, bräuchte sie auch tagsüber ein Fernglas. Aus der Stube hört sie den Nachrichtensprecher. Sie will nichts wissen von Ägypten und Zentralafrika, Fussball und Schnee in Spanien, schliesst die Balkontüre. Heute habe ich einen freien Tag, denkt Anna, und sie müsste darob glücklich sein. Heute macht Kollegin Margrit ihre Arbeit auf der Notfallstation des Spitals. Heute hätte ich ausschlafen können. Was mache ich mit meiner Zeit? Wenn ich wenigstens schlafen könnte. Ausschlafen. Miserabel sind die Aussichten. Der arbeitslose Über-Nachbar hat die ganze Nacht über Licht, und am Morgen wartet er um vier Uhr auf die Frau, welche die Zeitung verträgt. Die Frau ohne Ehemann, die Frau mit zwei Kindern. Von diesem Rendezvous hat Anna zufällig erfahren, als sie nach dem Besuch der Toilette das Auto jener Frau hörte und aus dem Fenster blickte. Der Über-Nachbar hätte gerne ein paar Worte gewechselt, sie hereingebeten, ihr vielleicht sogar einen Kaffee angeboten, das las er aus seinen Gesten, doch die Frau winkte ab, schüttelte den Kopf und hetzte zum Auto zurück. Sie mag wohl keine Reklamationen, denkt Anna. Und mit diesem Mann liesse sie sich auch nicht ein. Die Kinder zu Hause wollen Frühstück.
Die dritte Zigarette. Eine junge Frau aus der neuen Siedlung oberhalb des Hauses, das Anna gehört, weil ihre Mutter, schon zwanzig Jahre tot, im Dorf aufgewachsen ist, eilt mit lauten Schuhen Richtung Bushaltestelle an der Hauptstrasse. Anna stellt sich vor, wie die hohen spitzen Absätze im Asphalt der Strasse steckenbleiben und mit ihr die junge Frau. Und wie jene bei den unfruchtbaren Versuchen, die Schuhe wegzubringen, stürzte, sich aber mit den Händen auffangen könnte und ohne Schuhe weiterzueilen versuchte, jedoch kleben bliebe, dann die Strumpfhosen opferte, ohne indes weiterzukommen, denn auch die Füsse blieben haften. Was würde der Bauer, schlaftrunken, auf dem Traktor machen, wenn sie, seine Erwartungen Lügen strafend, nicht von der Strasse wiche, weil sie nicht weichen könnte? Dem Morgen fehlt zu jeder Jahreszeit die Hitze.
Seit ihrer Scheidung vor dreizehn Jahren wohnt Anna im Mutterhaus. Mutterhaus, wie das klingt. Das ist kein Kloster, vielmehr ein einst nobles Bürgerhaus und heute noch ein Prunkstück, wenn man genauer hinschaut. Eine Villa gewissermassen, an den Hang gebaut, wie es sich gehört, mehrstöckig, ausladend, da erstellt in einer Zeit, als es noch keine Bau- und Zonenordnung gab und bei Neuzuzügern allein das Portemonnaie, bei Eingeborenen deren Status das Baurecht bestimmten. Annas Grossvater war Fabrikant gewesen, hatte Hemden produziert im Dorf, bis die letzten Kunden merkten, dass sie auch ohne Masshemden mit fünfzehn Kragen- und acht Manschettenformen zur Auswahl gut und vor allem günstiger leben konnten.
Den Verkehrslärm hört sie am Hang besser als auf Strassenhöhe. Sie erwacht nicht nur deswegen; er erschwert aber das erneute Einschlafen. Besonders ärgerlich, denkt Anna, weil sie heute ausschlafen könnte. Weil sie nicht zur Arbeit muss.
Die Notfälle belasten sie nicht mehr. Das macht Anna beliebt bei den Eingelieferten. Das macht das Alter. Das macht die Erfahrung. Ein aufgescheuchtes Huhn hilft keine Schmerzen lindern, denkt Anna und setzt die Infusion: sicher, sachlich, überlegt. Es würde ihr nichts ausmachen, länger im Patientenabteil der Notfallaufnahme neben dem Patienten zu sitzen, der sich beim Sport, Volleyball, einen Finger gebrochen hat und darauf wartet, endlich weiterbehandelt zu werden. Zuerst kommt die Frau dran, deren Nasenbluten nicht mehr aufhören will. Man sollte nicht eine ganze Nacht bluten. Auch wenn du das Blut schluckst, es kehrt nicht in den Kreislauf zurück. Veröden. Die Schwellung an der Hand des Volleyballers muss erst abklingen, bevor ein Eingriff – das Röntgenbild legt eine Verschraubung der beiden Knöchelchenteile nahe, das sieht Anna sofort – vorgenommen werden kann.
Anna hat den Blick, an der Erfahrung geschult, doch wenn ein junger Arzt sich schwer tut mit Diagnose und Entscheid, behält sie ihre Meinung für sich. Sie will keine Schwierigkeiten, geniesst still: Aha, ich habs gewusst. Man könnte mich ja fragen.
Wenn Anna ganz ruhig sitzt, sieht niemand die Frau auf dem Balkon. Und wenn man sie sähe, nähme man sie als ausgestopfte Puppe wahr, wie sie in der Fasnachtszeit auf unbenutzten Bänken, hinter Kaminen oder auf Fenstersimsen sitzen. Man würde das Ausblasen des Rauchs nach einem Zug an der Zigarette hören, wenn man ruhig wäre. Wer geht, macht Lärm, wenn es dunkel ist. Die junge Frau ist nicht kleben geblieben. Am Morgen bleibt niemand kleben auf der Strasse. Am Morgen saugt ein Magnet die Menschen aus ihren Häusern zu den Bushaltestellen, zu den Bahnhöfen, in die Fabriken. Und in die Krematorien, denkt Anna. Die letzte Station überhaupt, denkt sie, und jede Weltreise, jeder Städtetrip, aber auch der Gang zur Arbeit erscheint ihr jetzt als Versuch, diesen unangenehmen Gedanken nicht aufkommen zu lassen. Die junge Frau wird die Haltestelle des Postautos rechtzeitig erreicht haben, es sei denn, sie wäre in der Eile gestürzt und hätte sich den Fuss verknackst.
Man sähe die Glut der Zigarette aufleuchten, nimmt Anna einen Zug, wenn man aufmerksam nach oben blickte. Auf die Idee kommt nur, wer den frischen Rauch riecht. Wer zu so früher Stunde auf den Bus eilt in Schuhen, deren Absätze als Hieb- und Stichwaffe dienen könnten, hat wie die junge Frau selber eine Zigarette im Mund und verpasst so die Gelegenheit, fremden Rauch zu riechen.
Was mache ich da, die Fremde, die Zugezogene, Zugespülte, die mit dem anderen Dialekt, fragt sich Anna. Sie kommt sich als Fremdkörper vor in einem Dorf, das gerne Einheit und Einigkeit zelebriert an Neujahr, am Nationalfeiertag, an der Neuzuzügerfeier, am Heimatabend von Trachtenverein und Jodlerklub, am Grümpelturnier des Fussballvereins, am Turnerabend. Liegt es an ihr? Sie denkt an ihren Sohn, der das Haus dereinst erben wird. Der Bub lebt als Küchenchef in Singapur. Anna ist immun gegen Fernweh; der Bub kommt alle zwei Jahre zu Weihnachten zurück, und Anna hofft auf seine Rückkehr, irgendwann. Auch hier gäbe es doch Hotels, St. Moritz, Interlaken, Luzern. Gekocht wird überall, wo Menschen essen wollen. Und Menschen müssen überall essen. Sie redet ihm nicht drein, keinerlei Anspielungen, die er missverstehen könnte, weiss wohl, dass sie nichts zu sagen hat, w

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