Ich war nie, wie ich hätte sein sollen
127 pages
German, Middle High (ca.1050-1500)

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Description

Von der Tragik, an sich selbst und der Welt zu zerbrechenKurz vor Weihnachten 1851 wird Daniel Müller in die Heil- und Pflegeanstalt Illenau eingeliefert. Der 34jährige Vater von vier Kindern hofft, dort von seinen übersteigerten Schuldgefühlen, seinen Panikattacken und Wahnvorstellungen geheilt zu werden. Er wird die Anstalt nie mehr verlassen.Wie hat es soweit kommen können? Aus welchen Gründen fühlte sich Daniel von den Menschen verfolgt und von Gott verlassen? Was war ihm widerfahren, dass ihm als letzter Ausweg nur noch die Flucht aus der Realität blieb?Der Autor, ein Nachfahre Daniel Müllers, hat die in Archiven vollständig erhaltenen Patientenakten und Briefe seines Ururgrossvaters sorgfältig ausgewertet. Er entdeckte einen verunsicherten jungen Mann, den eine romantische Liebe zu einem Jugendfreund ein Leben lang traumatisiert; der in fataler Selbstüberschätzung finanzielle Risiken eingeht, die ihn in den Konkurs treiben; der nach Amerika fliehen will, aber auch dabei grandios scheitert; und der letztendlich an der Schuld zerbricht, seine Familie mit ins Unglück gezogen zu haben.Lebendig, eindringlich und dennoch behutsam lässt der biografische Roman dieses Leben aus den historischen Dokumenten auferstehen. Es gelingt ein authentisches Zeugnis eines tragischen Einzelschicksals in einer Gesellschaft, in der Andersartigkeit keinen Platz findet. Gleichzeitig wird ein differenzierter Einblick in den Alltag einer modernen psychiatrischen Klinik zur Mitte des 19. Jahrhunderts gegeben.

Informations

Publié par
Date de parution 26 août 2014
Nombre de lectures 0
EAN13 9783037840498
Langue German, Middle High (ca.1050-1500)

Informations légales : prix de location à la page 0,0750€. Cette information est donnée uniquement à titre indicatif conformément à la législation en vigueur.

Extrait

«ICH WAR NIE, WIE ICH
HÄTTE SEIN SOLLEN.»
Roman



WERNER ADAMS
«ICH WAR NIE, WIE ICH
HÄTTE SEIN SOLLEN.»
Ein Lebensschicksal aus den Anfängen der Psychiatrie
Roman
nach Krankenakten aus der Heil- und Pflegeanstalt Illenau




© 2014 Schwabe AG, Verlag Johannes Petri, Basel, Schweiz
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Das Werk einschliesslich seiner Teile darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in keiner Form reproduziert oder elektronisch verarbeitet, vervielfältigt, zugänglich gemacht oder verbreitet werden.
Umschlaggestaltung: Etienne Blatz, formae.de , unter Verwendung eines Fotos einer Patientenzeichnung (Wandbild) aus dem ehemaligen Psychiatrischen Zentrum Rheinau ZH
Lektorat: Camilla Wüthrich
ISBN Printausgabe 978-3-03784-019-1
ISBN eBook (ePUB) 978-3-03784-049-8
ISBN eBook (mobipocket) 978-3-03784-056-6
rights@schwabe.ch
www.verlag-johannes-petri.ch


Inhalt
Ötlingen, Frühsommer 1850
Illenau, 1852
Illenau, 1853
Illenau, 1854
Basel, 1839
Illenau, 1855
Aargau, 1840er Jahre
Illenau, 1856
Illenau, 1857
Illenau, 1858
Reise nach Paris, 1850
Illenau, zweite Hälfte 1858, und Paris , 1850
Illenau, 1859
Illenau, Anfang 1860
Epilog: Haagen, Weihnachten 1860
Nachwort des Autors
Anhang: Abdruck der Originalbriefe Daniel Müllers


Ötlingen, Frühsommer 1850
Aus der Ferne sah Daniel im Sonnenschein der Nachmittagssonne die Höhenzüge des Schwarzwalds. Drei Monate waren verflossen, seit er hier voller Erwartungen an die Zukunft durchgereist war. Hatte die Mutter nicht gesagt, er würde schneller wieder zurück sein, als er denken könne? Sie hatte recht behalten. Wahrlich, so hatte er sich seine Reise nicht vorgestellt. Neben der Erleichterung, wieder in der Heimat zu sein, überfiel ihn nun plötzlich eine große Angst. Wie würde er das alles Marie sagen können? Sie wähnte ihn auf hoher See und erwartete sein nächstes Lebenszeichen aus der Neuen Welt. Würde er morgen oder übermorgen in Schinznach an die Türe klopfen können und sagen: «Da bin ich wieder. Ich hatte halt Pech, einmal mehr.» Schweißperlen bedeckten seine Stirn. Es fühlte sich heiß und stickig an in dieser Kutsche. «Das ganze gute Geld ist weg. Wir sind mittellos, und ich kann nicht arbeiten, weil ich krank bin.» Das würde er ihr auch sagen müssen. Die Diligence, von Paris her kommend, holperte auf der schlechten Straße Mülhausen zu. Daniel wurde hin und her geschüttelt, er schaukelte auf und ab und schwitzte immer stärker. Plötzlich spürte er, dass ihm schlecht wurde. Er klopfte an das Fenster, damit der Kutscher anhielte, sprang hinaus und erbrach sich in den Straßengraben. Die Mitfahrenden nützten den unvorhergesehenen Halt, um sich die Füße zu vertreten und frische Luft zu schöpfen. Niemand nahm Notiz von Daniels Not, denn für ältere Herrschaften, schwangere Frauen und andere zarte Gemüter ging keine Reise ohne diese Art der Erleichterung zu Ende.
Die Ankunft in Mülhausen war so eingerichtet, dass die Eisenbahn nach Basel erreicht werden konnte. Von dort gab es eine Postkutsche nach Brugg, oder es blieb der Fußmarsch über den Bözberg. Daniel war noch zu schwach für eine solche Strapaze. Auch fürchtete er sich immer mehr vor der Begegnung mit seiner Frau. Er fühlte sich bei den Verwandten in Schinznach nicht zu Hause. Wie hätte er da die richtigen Worte für Marie finden können?
In Basel lenkte er seine Schritte hinunter zur Rheinbrücke, darauf bedacht, Erinnerungen an die schönen Jahre in dieser Stadt überhaupt nicht erst aufkommen zu lassen. Er überquerte den Rhein und schlug den Weg in Richtung Haltingen ein. Einem Fuhrwerk, das vom Markt nach Weil unterwegs war, konnte er für einige Zeit aufsitzen, dann ging es zu Fuß Richtung Elternhaus, den Tüllinger hoch nach Ötlingen und bereits stand er in der unteren Küche, wo seine Mutter gerade dabei war, das Abendbrot zuzubereiten.
«Um Himmels Willen!», rief die Mutter und ließ sich auf einen Stuhl fallen. «Du hier? Was ist passiert?» Der 33-Jährige warf sein Gepäck zur Seite, stürzte auf die Mutter zu, umfasste ihre Knie, legte seinen Kopf in ihren Schoss und begann ungehemmt zu weinen. Die Mutter verlor nun ebenfalls die Fassung, und beide heulten, ohne dass überhaupt nur ein Wort gefallen war. Plötzlich stand Wilhelm unter der Tür, versuchte die Situation zu erfassen und schrie dann Daniel an: «Lass endlich diese alte Frau in Ruhe, sie erträgt dich nicht. Merk dir das und verschwinde jetzt!» Die Mutter legte schützend ihre Hand auf Daniel. «Heute Nacht bleibt er da. Er ist dein Bruder, Wilhelm.»
Das Nachtlager war schnell in der Stubenkammer eingerichtet, und Daniel legte sich todmüde ins Bett. Traumlos schlief er durch, bis sehr früh am Morgen jemand an die Türe klopfte. «Ja», antwortete er schlaftrunken, und dann stand seine Mutter im Raum, im Nachthemd, das graue Haar offen und bis in die Mitte des Rückens fallend.
«Daniel, ich mach mir so große Sorgen. Was ist geschehen? Sag es mir.» Sie setzte sich auf den Bettrand, und Daniel begann zu erzählen. Wie ein Wasserfall schoss es aus ihm heraus, jede Einzelheit beschrieb er. Einzig über die eine Nacht in Paris konnte er nicht sprechen, er hatte zu große Angst davor, wie die Mutter auch dies noch verkraften würde.
Als er geendet hatte, stand die Mutter auf und strich ihm über das Haar. «Armer Bub, du wirst wahrlich über die Gebühr geprüft. Ruh dich noch ein wenig aus. Ich spreche inzwischen mit Wilhelm», sagte sie und verließ das Zimmer. Daniel dämmerte im Halbschlaf weiter vor sich hin. Wiederum klopfte es an die Tür, und die Mutter rief zum Frühstück. In der unteren Küche war für drei gedeckt. Wilhelm saß bereits bei Tisch und war dabei, sich den Sprießen aus einem Finger zu entfernen, welchen er beim Holzspalten eingefangen hatte. Als er Daniel im Türrahmen erblickte, ging er sofort auf diesen zu und reichte ihm die Hand. «Tut mir leid wegen gestern», brummte er. Die Mutter schenkte den Kaffee ein, und alle warteten, bis jemand das Wort ergreifen würde.
«Du kannst natürlich hierbleiben», begann Wilhelm. «Fürs Erste. Ist ja auch dein Zuhause, sozusagen.» Daniel antwortete nicht. Er schaute auch nicht auf, sondern starrte unentwegt auf die Tasse, in welcher der Kaffee noch dampfte und seinen anregenden Duft verbreitete.
«Wir werden halt etwas zusammenrücken müssen. Fürs Erste», wiederholte Wilhelm seine Botschaft.
«Deine ganze Familie ist uns willkommen», ergänzte nun die Mutter.
«Wie stellst du dir das vor?», unterbrach Wilhelm sie entsetzt und spie den Holzsplitter zu Boden, den er nun endlich mit den Zähnen gepackt hatte. «Marie ja, aber die Kinder, da ist doch überhaupt kein Platz!»
«Bei Fünfschilling …»
«Mutter, willst du denn das ganze Dorf in diese Geschichte hineinziehen? Nein, da macht der Willi nicht mit.» Der Wortwechsel ging noch einige Male zwischen Mutter und Sohn hin und her. Dann setzte Wilhelm seine Kaffeetasse kraftvoll auf den Tisch.
«Arbeit muss er wohl auch suchen, he? Bebié hatte ja seinerzeit viel von ihm gehalten. Hast du selber gesagt, Mutter! Soll er’s doch dort wieder versuchen.»
Daniel hatte bisher teilnahmslos dagesessen. Nun wurde über ihn verfügt. Ohne Geld, ohne Arbeit, ohne Freunde, ohne Würde, da wurde man nicht mehr um die Meinung gefragt. Andere würden künftig über ihn bestimmen, das fühlte er ganz stark. Doch als der Name Bebié fiel, hob er jäh den Kopf.
«Nein!», schrie er seinen Bruder an, «der hat mich hintergangen. Nicht nach Turgi!»
Die Mutter versuchte zu beruhigen. «Das hat doch Zeit, und Marie wird wohl auch noch etwas dazu sagen wollen. Du schreibst ihr heute, und ich füge dann auch noch einige Worte an. Und jetzt esst erst einmal das Frühstück, und macht die Sache nicht noch schlimmer, als sie schon ist.» Dabei schaute sie auf Wilhelm.
«Holzhacken an der frischen Luft. Hat noch keinem geschadet und bringt ihn auf andere Gedanken», raunte dieser, zurechtgestutzt durch die Worte der Mutter.
Daniel aber hatte das bereits nicht mehr gehört. Verstört war er aufgestanden, als die Mutter Marie erwähnte, und zurück ins Zimmer geflohen. In den Kleidern legte er sich wieder ins Bett und zog sich die Decke über den Kopf. Alles Zureden der Mutter fruchtete nichts. Er blieb den ganzen Tag im Bett und mied allen Kontakt.
Bereits zum dritten Mal trug die Mutter einen Teller mit Mahlzeiten weg, den Daniel nicht angerührt hatte. Er ging nur aus dem Bett, um zum Abort zu gehen oder um in der Küche hie und da etwas Wasser oder Kräutertee zu sich zu nehmen, den die Mutter eigens für ihn angesetzt hatte. Immer wieder schob sie ihm Papier und Tinte hin, damit er endlich den Brief an Marie schriebe. Doch jedes Mal vergrub er sich noch tiefer im Bett und schloss sich einmal sogar ein. Die Mutter war daraufhin so stark erzürnt, dass sie mit Wilhelm drohte, der die Türe eintreten würde. Sie machte sich vor allem aber Sorgen, weil kein Gespräch mehr mit ihrem Sohn zustande kam und sie fürchtete, er könnte sich ein Leid antun. Mehrmals ging sie nachts an seine Zimmertüre, um zu lauschen, ob sie seinen Atem hören konnte.
Dieser Zustand war nach einigen Tagen der ganzen Familie ungeheuer, was nun die alte Frau veranlasste, sich selber an ihre Schwiegertochter zu wenden. Sie erklärte ihr kurz, was geschehen war, und bat sie, so bald als möglich nach Ötlingen zu kommen. Für die Kinder wäre es aber wohl besser, wenn sie ihren Vater in diesem Zustand nicht zu Gesicht bekämen.
Einmal konnte die Mutter Daniel bewegen, mit ihr das Grab des Vaters zu besuchen. Er blieb sehr lange an der Grabstätte stehen und betrachtete schweigend den Namen auf dem hölzernen Kreuz. «Ich wollte, ich könnte mit ihm tauschen», meinte er traurig beim Verlassen des Friedhofs. Den Rest des Tages wollte er Holz spalten. Bald musste er aber diese Arbeit aufgeben, da er zu wen

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