Vor dem Fenster
172 pages
German, Middle High (ca.1050-1500)

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Vor dem Fenster , livre ebook

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Description

Die Welt ist eine Bühne. Und die Menschen spielen mit, so gut sie es vermögen: In den dreissig Geschichten dieses Buches treten Florian, Raphaela, Jasmin, Antonio, Fabienne und wie sie alle heissen immer wieder auf. Sie bleiben oder gehen. Warten ab oder schreiten zur Tat. Suchen oder geben auf. Es kommt zu Überschneidungen der Lebenswege, zu überraschenden Wendungen und fatalen Ereignissen. Ein Paar streitet sich in der Strassenbahn. Kinder zeichnen Kreidemonster auf den Gehsteig. Ein Junge schreibt alles verkehrt. Ein Pensionär spricht mit einem unsichtbaren Freund. Ein katalanischer Maler macht sich auf die Suche nach dem Vater. Eine alte Dame vermisst ihren Liebhaber von einst. Ein Ausflug endet im Nichts. Ein Teenager flirtet im Cyberspace. Ein Musiker verirrt sich in ein Striplokal. Ein Haus versinkt langsam im Boden. Ein Weihnachtsfest droht zu kippen ... Und die Strassenbahn fährt ewig ihre Runden. Stephan Mathys erzählt in den Geschichten dieser Menschen vom Sehnen und Zögern, von der Last der Vergangenheit und dem Mut zum Aufbruch. Mal poetisch leise, mal humorvoll schräg, aber immer schnörkellos und packend.

Informations

Publié par
Date de parution 23 décembre 2019
Nombre de lectures 0
EAN13 9783859903494
Langue German, Middle High (ca.1050-1500)

Informations légales : prix de location à la page 0,0450€. Cette information est donnée uniquement à titre indicatif conformément à la législation en vigueur.

Extrait

Stephan Mathys
Vor dem Fenster
edition 8
Stephan Mathys
Vor dem Fenster
Geschichten
Verlag und Autor danken für den finanziellen Beitrag an dieses Buch.
Der Autor dankt Kultur Kanton Bern und Kultur Stadt Bern für den Werkbeitrag.
Besuchen Sie uns im Internet: Informationen zu unseren Büchern und AutorInnen sowie Rezensionen und Veranstaltungshinweise finden Sie unter www.edition8.ch
Die edition 8 wird im Rahmen des Förderkonzepts zur Verlagsförderung in der Schweiz vom Bundesamt für Kultur mit einem Förderbeitrag für die Jahre 2016–2018 unterstützt.
September 2018, 1. Auflage, © bei edition 8. Alle Rechte, einschliesslich der Rechte der öffentlichen Lesung, vorbehalten. Lektorat: Jeannine Horni, Korrektorat: Brigitte Walz-Richter, Typografie & Umschlag: Heinz Scheidegger, Umschlagillustration: Raoul Ris, ›Der Morgen‹ (2013)
www.dachsart.ch ; e-Book: mbassador GmbH, Basel
Verlagsadresse: edition 8, Quellenstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41/(0)44 271 80 22, info@edition8.ch
ISBN 978-3-85990-349-4
»So ist das bei mir,
immer schaue ich entweder hinein
oder schaue hinaus,
eine kühle Fensterscheibe zwischen mir
und der ersehnten Welt.«
John Banville, Die blaue Gitarre
Szene
»Es irritiert mich, wenn du gähnst und gleichzeitig weitersprichst.«
»So, es irritiert dich.«
»Ja, weil … es ist offensichtlich, dass du dich mit mir langweilst.«
»Hm …« Sie rutscht auf ihrem Sitz hin und her wie eine Katze, die sich einen gemütlichen Schlafplatz einrichtet, dreht den Kopf zu ihm hin, nur kurz, aber lange genug, dass ich das Profil ihres Gesichtes erkennen kann: die fein geschnittene Nase, die hochstehenden Wangenknochen, die Strähnen, die sich aus dem Wirbel des Haarknotens gelöst haben.
Wie so oft in letzter Zeit, interpretiere er ihr Verhalten völlig falsch, sagt sie nun mit ruhiger Stimme. Sie gähne bloss wegen Sauerstoffmangels. Dass sie gähnen und gleichzeitig sprechen würde, merke sie gar nicht. Aber die Tatsache, dass es ihn irritiere, beweise seine kleingeistige Haltung ihr gegenüber.
»So, meinst du«, mault er, wendet sich von ihr weg und schaut nach draussen.
Ich schätze ihn auf Ende zwanzig. Sein dichtes, kurz geschnittenes Haar glänzt in sattem Kastanienbraun. Die straffe Haut seines Halses pocht, als schlüge jemand im Inneren dagegen wie auf das Fell einer Trommel.
Er sagt, man könne nicht wissen, ob man sich wirklich bewege oder ob die Kulisse der Stadt an einem vorbeigeschoben würde. Und, nach einer kurzen Pause: »Die Leere da draussen … ich weiss nicht … sie stimmt mich irgendwie traurig.«
Er dreht den Kopf wieder zu ihr hin. Sie sagt, er solle nicht ablenken, das sei typisch für ihn, für alle Männer, sie müssten jetzt am Thema dranbleiben.
»Ja, schon … aber diese Spiegelungen!«
»Was ist damit?«
»Die Bilder in der Scheibe … siehst du? Das bin ich … und das bist du …«
»Ja, schön. Ich sehe uns.«
Das Tram verlangsamt seine Fahrt und bleibt stehen. Weiter vorn steigt ein älteres Paar ein, Sekunden später ertönt das Warnsignal, die Türflügel schlagen gegeneinander, ein Zittern geht durch die Wagenkomposition. Das Tram setzt sich wieder in Bewegung, fährt in die Linkskurve ein.
Er fragt: »Wo sind wir stehen geblieben?«
»Beim Gähnen.« Sie gähnt künstlich, mit weit aufgerissenem Mund. »Und bei deiner Kleingeistigkeit, die mir langsam den Atem raubt!«
»Aha! Ich bin also schuld an deinem Sauerstoffmangel!«
»Nein, so habe ich es nicht gemeint.«
»Doch, die Botschaft ist angekommen! Und ich bewundere deine Eleganz, mit der du den Spiess umdrehst: Am Schluss geht es um das grosse Ganze, und ich bin der Übeltäter!«
»Du hast von der Langeweile gesprochen! Ich habe bloss gegähnt, nichts weiter. Wenn einer es versteht, Kleinigkeiten aufzublähen, dann du und nicht ich!«
»Das Gähnen ist ein Symptom«, sagt er etwas leiser – und ich beuge mich in meinem Sitz weiter nach vorn, um kein Wort zu verpassen –, »ein Symptom wie die langen Fernsehnächte … die stummen Abendessen … der routinierte Beischlaf.«
Sie atmet deutlich hörbar aus, holt wieder Luft, aber es scheinen ihr die Worte zu fehlen. Und er türmt sich auf, dreht seinen Oberkörper drohend zu ihr hin und sagt, es müsse sich etwas ändern, und zwar schnell.
»Nur zu!«, sagt sie in erstaunlich leichtem Ton. »Es liegt an dir, du hast es in der Hand.«
»So, habe ich?« Er streckt ihr seine leeren Handflächen entgegen. »Wo denn genau?«
»Ja, das musst du selber herausfinden! Und es ist mir lieber, wenn du jetzt nicht zynisch wirst!«
Wir fahren am Käfigturm vorbei, der Gong ertönt, aus den Lautsprechern schnarrt es »Bärenplatz«. Die beleuchteten Wintergärten der Restaurants an der Front sind beinahe menschenleer, das Bundeshaus wirkt wie eine riesige Theaterkulisse, an der Ecke jongliert einer mit brennenden Fackeln. Das Tram ruckelt und bleibt stehen.
»Es liegt nicht bloss an mir!«, sagt er.
»Dir ist langweilig, nicht mir. Ich brauche nichts zu ändern.«
»Dann ist ja gut.«
»Eben nicht.«
»Du hast schon lange nicht mehr gegähnt!«
»Hör doch auf!«, sagt sie scharf. »Du gehst mir auf die Nerven!«
»Wir können uns ja trennen.«
»Ach, einfach so?«
»Ja, ich will nicht, dass du leidest, dass dich meine Beschränktheit bremst oder ärgert. Ich packe noch heute meine Sachen und übernachte bei einem Freund.«
»Sag das noch mal!«, sagt sie. »Das hat mich nicht überzeugt, ganz und gar nicht.«
»Nein, du bist dran.«
Sie schlägt sich mit beiden Händen auf die Oberschenkel, ihre Stimme zittert. Schon wieder sehe er nur die Flucht als Lösung, schon wieder verweigere er das Gespräch – und im Übrigen, fährt sie in gänzlich anderem Ton fort, hätten sie eine Seite übersprungen, es fehlten noch die Vorwürfe wegen der Alltagsdinge, wegen des Abwaschs, Einkaufens, Bodenputzens und so, ob er sich erinnere?
»Stimmt!« Er greift sich an die Stirn. »Es ist immer die gleiche Stelle, die ich vermassle.«
Das Tram fährt unter dem gläsernen Baldachin ein. »Bern, Bahnhof. Weiterfahrt nach Bümpliz. Umsteigemöglichkeit in alle Richtungen.«
»Komm!«, sagt sie, »ich will nicht nach Hause gehen, wir fahren eine letzte Schlaufe und üben die Szene noch mal.«
Ich höre nicht, was er erwidert. Ich steige aus, drehe mich um, sehe, wie sie die Köpfe zusammenstecken und in einem Ringheft blättern. Eine Frau schnauzt mich an, ob ich unbedingt vor der Tür stehen bleiben müsse. Ich entschuldige mich, gehe ein paar Schritte weiter, schaue zurück: Das Tram fährt langsam los, die beiden lachen und gestikulieren. Jetzt stellt sich ein grosser Mann ins Bild, kurz sehe ich noch die roten Rücklichter des Trams, dann schiebt sich ein Bus vor die Sicht – die Türen öffnen sich, ich steige ein.
 
Hades
Ich sehe Norbert noch vor mir, mal gebeugt und hager, dann wieder als junger Mann mit wehenden Haaren. Ab und zu glaube ich seine Schritte, ein Seufzen oder einen tiefen Atemzug zu vernehmen. Gleichzeitig weiss ich, dass es Unsinn ist. In einem Haus wie diesem gibt es viele Geräusche: Das Eichenparkett knarrt, eine Krähe hackt auf dem Dach eine Nuss auf, im Nebenzimmer läuft eine Klaviersonate im Radio – alles ist harmlos und hat nichts mit meinem Mann zu tun.
Wir hätten verreisen wollen, die Koffer waren gepackt. Wir freuten uns, waren aufgeregt wie früher, wie zu unseren besten Zeiten. Ich erinnere mich genau, wie Norbert dastand, unter der Tür, eingerahmt wie ein Porträt, eine zitternde Skulptur mit matten Gesichtszügen und einer dunklen Schweissperle auf der Stirn. Ich wartete, hielt ihn fest, drückte meine Sorgen weg. Als der Anfall vorbei war, sagte er mit leiser Stimme, man vergesse am Schluss immer das Wichtigste. Er lächelte mir zu, versuchte, mir zuzulächeln. Er wollte den Kamm holen gehen. Denn alles musste seine Ordnung haben: die Haare, die Bücher, die Kleider, die Menschen, die Gedanken. »Siehst du, jeder Ton hat seinen Klang, seine Bedeutung, seinen Platz.« Manchmal sagte er es freundlich zu mir, manchmal vorwurfsvoll, weil ich die Dinge herumliegen liess, meine Gedanken seltsame Kreise drehten, die Kinder zu wild waren.
Er wollte also den Kamm einpacken gehen. Bald würde unser Sohn Florian kommen, um uns abzuholen. Norbert ging zum Badezimmer. Ich überlegte, ihn zu begleiten, dafür zu sorgen, dass nichts passierte. Aber ich tat es nicht. Ich blieb stehen, als hätte ich seine Erstarrung übernommen. Ich schaute, wie er durch den Flur ging, mit langsamen Schritten, tastend, leise, mein alter Mann. An der Schwelle musste er ins Stolpern geraten sein, er taumelte und fiel, schlug mit dem Kopf gegen die Badewanne. Ich hörte etwas, eilte hin, kniete neben ihm nieder, griff an seine Schulter. »Norbert!«
Er gab keine Antwort mehr.
Wann hatte es angefangen? Auf einmal waren ihm die Läufe über die Klaviertasten nicht mehr gelungen. Wo früher die Hände geflogen waren, als hätte er vier davon, gerieten nun die Finger ins Stolpern. Er hatte an einen Gichtschub gedacht und auf Besserung gehofft. Aber bald vernachlässigte er das Klavierspielen immer mehr: Das Tageswerk minus die Zeit fürs Musikmachen – er sagte, so könne er wenigstens länger im Bett bleiben. Manchmal staubte er noch die Tasten ab, spielte da einen Ton, dort einen anderen, hörte zu, wie die Klänge durch die Luft flogen, verfolgte sie mit den Ohren wie ein Insekt.
Ich schaute. Er hörte. Meine Schmerzen gingen vorbei. Seine verklangen allmählich. Ich sah es unseren Kindern an, wenn etwas nicht in Ordnung war. Er hörte es in ihren Stimmen. Mein Glück war weich und bunt. Seines folgte einer inneren Melodie.
Die Töne wurden immer weniger. Das Haus veränderte sich, schien sich abzukühlen, verlor an Farbe, an Leichtigkeit.
Ich erinnere mich an einen Sonntagsspaziergang, ein strahlender Tag in einem launischen Frühling. Nach dem späten Frühstück gingen wir nach draussen. Ich blieb bei einem blühenden Fliederstrauch stehen, um den Duft einzuatmen. Mein Mann wartete nicht auf mich. Er rief, als ich ihn für seine Unrast tadelte, er lasse die Hände nicht auf den Tasten liegen, nur weil ihm ein Akkord besonders gut gefalle. Ich la

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