LIGNA Konstellation - Zerstreuung - Assoziation Eine Historisierung gestischen Radiohörens [03_2004] *"Je mehr Raum und Zeit beherrscht werden, desto weniger stehen die Beherrscher fest."* Siegfried Kracauer Radio ist heutzutage ein in vielerlei Hinsicht aus Gewohnheit unterschätztes Medium. Es wird nur mehr nebenbei gehört. Während über das Fernsehen immer wieder Debatten geführt werden, wird der Media-lität des Radios nur noch selten eine größere Aufmerksamkeit zuteil. Eine interessante Situation, sich wie nebenher dieses Medium anzueignen, um neue, unvorhersehbare Situationen zu ermöglichen. Aufgrund der Aufmerksamkeit einiger Intellektueller sind in den späten zwanziger Jahren, kurz nachdem das Radio eingeführt wurde und sich als Massenmedium verbreitete, einige Urszenen des Radios aufge-zeichnet worden. Sie erinnern grundlegende Bedingungen für eine Aneignung des Radios - und deren immanente Grenzen. Anhand zweier solcher Szenen soll im Folgenden die Konstellation der HörerInnen und die Zerstreuung der Stimme als diejenigen Motive bestimmt werden, die sich nicht beherrschen las-sen und so eine Relektüre der Radiotheorie von Bertolt Brecht erlauben. 1. Szene. Konstellation. Am Abend eines Wahltages. "Da sämtliche aus dem Ausland entsandten Sonderberichterstatter ihren Blättern das hohe Wahlfieber gemeldet hatten, das hier in Berlin herrsche, beschloss ich am Abend des Wahltages, die Temperatur selber zu messen", beginnt ...