Es ist kein Zufall, dass die These von der Überwindung der Dichotomien“von Kultur und Politik,
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Susan Kelly Das Transversale und das Unsichtbare: wie macht man wirklich ein Kunstwerk, das kein Kunstwerk ist? [01_2005] Der Titel dieses Textes verweist auf einige Diskussionen, die das republicart-Projekt offenbar zumindest in seinen Anfängen stark beschäftigt haben – die Idee der Transversalität und die Neuordnung der Bezie-hungen zwischen politischen und künstlerischen Aktivitäten im Lauf der letzten 5 bis 10 Jahre in Europa. Ich beschwöre im Titel aber auch eine von Sarat Maharaj häufig aufgegriffene Frage Marcel Duchamps: wie 'kann man Werke machen, die keine 'Kunst-' sind?' Mit dem Zusammenbringen dieser Themen will ich einer Sorge Ausdruck verleihen, die ich trotz all der nicht nur im Kontext von republicart, sondern auch in vielen Jahren nunmehr sehr sichtbarer politisch und gesellschaftlich engagierter Kunstpraxen getanen Arbeit nicht loswerde. Inwiefern nämlich das, was wir trotz der vorgeblich deterritorialisierenden Mechanismen transversaler Praxen letzten Endes erreicht haben, oder das, was jetzt 'sichtbar' ist, in der Mehrzahl der Fälle ein endlos erweiterter (relationaler, sozial engagierter) Kunstbegriff ist. Tatsächlich könnte man sagen, es ist nahezu unmöglich geworden, ein Kunstwerk zu machen, das kein Kunstwerk ist. Meine Frage ist also gewissermaßen, wie dieses Problem der Sichtbarkeit mit der Herstellung neuer, so-genannter transversaler oder konstituierender Praxen zusammenhängt, welche das Kunstfeld und dessen ...

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Susan Kelly

Das Transversale und das Unsichtbare:
wie macht man wirklich ein Kunstwerk, das kein Kunstwerk ist?

[01_2005]


Der Titel dieses Textes verweist auf einige Diskussionen, die das republicart-Projekt offenbar zumindest
in seinen Anfängen stark beschäftigt haben – die Idee der Transversalität und die Neuordnung der Bezie-
hungen zwischen politischen und künstlerischen Aktivitäten im Lauf der letzten 5 bis 10 Jahre in Europa.
Ich beschwöre im Titel aber auch eine von Sarat Maharaj häufig aufgegriffene Frage Marcel Duchamps:
wie 'kann man Werke machen, die keine 'Kunst-' sind?' Mit dem Zusammenbringen dieser Themen will
ich einer Sorge Ausdruck verleihen, die ich trotz all der nicht nur im Kontext von republicart, sondern
auch in vielen Jahren nunmehr sehr sichtbarer politisch und gesellschaftlich engagierter Kunstpraxen
getanen Arbeit nicht loswerde. Inwiefern nämlich das, was wir trotz der vorgeblich deterritorialisierenden
Mechanismen transversaler Praxen letzten Endes erreicht haben, oder das, was jetzt 'sichtbar' ist, in der
Mehrzahl der Fälle ein endlos erweiterter (relationaler, sozial engagierter) Kunstbegriff ist. Tatsächlich
könnte man sagen, es ist nahezu unmöglich geworden, ein Kunstwerk zu machen, das kein Kunstwerk
ist.

Meine Frage ist also gewissermaßen, wie dieses Problem der Sichtbarkeit mit der Herstellung neuer, so-
genannter transversaler oder konstituierender Praxen zusammenhängt, welche das Kunstfeld und dessen
Institutionen schneiden? Bis zu welchem Grad wird das, was für solche neuen Praxen möglich ist, von
Deutungssystemen und den konstitutiven Formen, durch die sich Praxen als dieses oder jenes zu erken-
nen geben sollen, beschränkt und vorweggenommen? Und was sind schließlich die Strategien und Dyna-
miken, die am Arbeiten über Situationen, Institutionen und Diskurse hinweg, und ohne Identifikation mit
ihnen oder die Unterordnung unter sie, beteiligt sind? (Und sofort verallgemeinere ich hier den Begriff
Sichtbarkeit auch auf die Bedeutungen Erkennbarkeit und Lesbarkeit hin.)

Einer mittlerweile viel zitierten These Alain Badious zur zeitgenössischen Kunst folgend ist es 'besser, gar
nichts zu tun, als zur Erfindung formaler Wege beizutragen, das sichtbar zu machen, was Empire bereits
1als existent anerkennt.' Für Badiou ist hier Sichtbarkeit als Bedingung oder Zustand in einem Regime
von Empire negativ konnotiert. Bereits bekannte oder erkennbare Formen zu erfinden wird als sinnlos
erachtet. Im Rahmen dieses Textes möchte ich dieser Aussage Maharajs von Duchamp übernommene
Frage (wie kann man Werke machen, die keine 'Kunst-' sind?) anschließen, indem ich unterstelle, das
'Kunstwerk' sei die erkennbare, sichtbare Form, die Empire zur Verwaltung und Beherrschung freilegt.
Womit ich in anderen Worten andeuten will, dass die große Inklusion oder Identifikation aller Arten von
transversalen Praxen, Praxen der Selbstorganisation und Praxen, in denen nie klar wird, wo die Kunst
aufhört und die Politik beginnt, in Kategorien eines erweiterten Kunstbegriffs ('relational art', 'sozial en-
gagierte' Kunst usw.) mit Misstrauen aufgenommen werden muss. Die Vermutung ist also, dass es für
transversale Praxen, wenn sie eine kritische Beziehung zu 'Empire' wahren wollen, wichtig ist, sich der
2Einordnung zu entziehen, 'doggedly eye-proof' zu bleiben, wie Sarat Maharaj es genannt hat. Ich würde
behaupten, dass die Kennzeichnung gewisser Praxen als Kunstwerke, oder die Begrenzung bestimmter
Aktivitäten und Formen auf das 'Kunstfeld' ihr Potenzial einschränken oder sogar ausschalten können.


1 Alain Badiou, Fifteen Theses on Contemporary Art, online über verschiedene Quellen zugänglich, z. B.
http://www.16beavergroup.org/journalisms/archives/000633.php (im September 2004)
2 Sarat Maharaj, 'Xeno-epistemics. Ein provisorischer Werkzeugkasten zur Sondierung der Wissensproduktion in der
Kunst und des Retinalen' in: Documenta11 Katalog, Okwui Enwezor et al. (Hg.) Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 2002, 71-
84 (engl. 84). Dieses Streben steht in Bezug zu Sarat Maharajs von Duchamp übernommener und wiederholt
aufgegriffener Frage, wie macht man ein Kunstwerk, das kein Kunstwerk ist?
http://www.republicart.net 1Über was für Praxen reden wir nun eigentlich und was ist in diesem Zusammenhang mit Transversalität
gemeint? Zusammenfassend ließe sich das, was in der Kunst genauso wie in politischen Praxen in den
letzten zehn Jahren (mindestens) passiert ist, als gleichzeitiges Infragestellen der Repräsentationsstruk-
turen der politischen Partei, die mit der korporativen Geist des Nationalstaats im Einklang steht, und der
Genres traditioneller Community-based und Public Art, die diesen Strukturen politischer Repräsentation
entsprechen, beschreiben. Diese Befragung der das Politische untermauernden Strukturen wird in der
Signifikanz für zeitgenössische soziale Bewegungen des Zapatismo und des 'neoanarchistischen' Experi-
mentierens mit direkter Demokratie durch unterschiedliche Organisationsformen bestätigt. Oftmals han-
delt es sich bei den Praxen, auf die ich mich beziehe, um künstlerische und politische Gemeinschaftspro-
duktionen; überdies lehnen sie es ab, für die Minorisierten zu sprechen – und entwickeln stattdessen
Modalitäten, die andere Arten einer kollektiven Praxis fördern. Gerald Raunig zufolge hat das in Europa in
den 1990er Jahren wiedererwachte Interesse an Public und Community Art, partizipatorischer und inter-
ventionistischer Kunst eben in der Verbindung 'mit heterogenen Aktivitäten gegen die ökonomische Glo-
balisierung' Züge einer Neu-Politisierung angenommen. Diese Arbeit vollzieht sich häufig gemeinschaftlich
und befasst sich mit Fragen des öffentlichen und sozialen Raums, der Mobilitäts- und Wissensfreiheit, sie
tritt in vielfältigen Formen auf und funktioniert oft über zahlreiche verschiedene Schauplätze hinweg. Ein
gemeinsamer Nenner der neuen kulturellen und aktivistischen Praxen ist, dass sie eher aufs Experimen-
tieren als auf Repräsentation ausgerichtet sind, auf die Mittel: auf Aktivitätsformen, die das Warum und
das Wie des Zusammenkommens in Griffweite rücken. So haben etwa Routes aus Belfast, Kein Mensch
ist illegal und Florian Schneider, 16Beaver und Ultra-Red Praxen initiiert, in deren Umfeld Situationen,
Mittel und Verfahren produziert werden, die dann in und von verschiedenen Adressatenkreisen eingesetzt
werden können. Von solchen Praxen ließe sich sagen, dass sie künstlerische Modalitäten (im Gegensatz
zu Repräsentationen und selbst zu Ausdrücken) nutzen, um in ihrer Bewegung durch physische und sozi-
ale Räume auf kreative Weise neue organisatorische Formen, Konstellationen und Situationen zu erzeu-
gen.

Jetzt könnten solche Praxen auch treffend als transversal beschrieben werden, oder müsste es eher hei-
ßen, sie produzieren Transversalen? (wenn es um das Transversale geht, wird die Grammatik immer
kompliziert). Der Ausdruck transversal wird häufig mit Gilles Deleuze und Félix Guattaris Tausend
Plateaus assoziiert. Erstmals verwendet und entwickelt wurde er allerdings von Guattari an der La Borde-
Klinik in Frankreich, als Werkzeug zur Umgestaltung institutioneller Praxen in der Psychiatrie und Alter-
native zu deren konventionellem Modell, den Übertragungsprozessen zwischen dem Analytiker und dem
Analysanden. Guattari ging es darum, die Übertragungsprozesse, die das produzieren, was er institutio-
nelle Objekte nennt, zu ersetzen und offene kollektive Praxen einzuführen, die quer zu den engen Gren-
zen der Institution arbeiten und darüber hinaus gehen. Allgemein gesprochen benutzte Guattari den Beg-
riff der Transversalität als konzeptuelles Hilfsmittel, um über die Öffnung vormals geschlossener Logiken
und Hierarchien und durch das Experimentieren mit Interdependenzbeziehungen neue Assemblagen und
Allianzen herzustellen. In Guattaris aktivistischer Arbeit kam Transversalität als Kritik an und Bruch mit
ererbten politischen Organisationsformen wie 'der Partei' zum Einsatz. In späteren Phasen seines Schaf-
fens und der Zusammenarbeit mit A/Traverso und Radio Alice konzentrierte sich Guattari jedoch weniger
auf das psychoanalytische 'Gerüst' des Ausdrucks und mehr auf die Frage, wie Modi der Transversalität
verschiedene Formen von (kollektiver) Subjektivität produzieren können, die die Gegensätze zwischen
3Individuum und Gruppe überwinden.

Eine Bewegung oder ein Modus der Transversalität legt es ausdrücklich auf die Deterritorialisierung der
Disziplinen, Felder und Institutionen an, zu denen sie quer läuft. In letzter Zeit wurde der Begriff von
Michael Hardt und Antonio Negri ebenso wie von Kritikern wie Gerald Raunig gebraucht, um neue Ge-
lände der offenen Kooperation zwischen verschiedenen aktivistischen, künstlerischen, sozialen und politi-
schen Praxen zu beschreiben

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