Der Tod in Venedig
51 pages
Deutsch

Der Tod in Venedig

-

Le téléchargement nécessite un accès à la bibliothèque YouScribe
Tout savoir sur nos offres
51 pages
Deutsch
Le téléchargement nécessite un accès à la bibliothèque YouScribe
Tout savoir sur nos offres

Description

The Project Gutenberg EBook of Der Tod in Venedig, by Thomas MannThis eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.netTitle: Der Tod in VenedigAuthor: Thomas MannRelease Date: April 22, 2004 [EBook #12108]Language: GermanCharacter set encoding: ISO-8859-1*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER TOD IN VENEDIG ***Produced by Ari J Joki and PG Distributed ProofreadersThomas MannDer Tod in VenedigDie Texte folgen den Ausgaben:>Der Tod in Venedig< ausM�nchen, Hyperionverlag Hans von Weber 1912Erstes KapitelGustav Aschenbach oder von Aschenbach, wie seit seinem f nfzigsten �Geburtstag amtlich sein Name lautete, hatte an einemFr �hlingsnachmittag des Jahres 19.., das unserem Kontinent monatelangeine so gefahrdrohende Miene zeigte, von seiner Wohnung in derPrinz-Regentenstra e zu M nchen aus, allein einen weiteren Spaziergang� �unternommen. berreizt von der schwierigen und gef� hrlichen, eben �jetzt eine h chste Behutsamkeit, Umsicht, Eindringlichkeit und�Genauigkeit des Willens erfordernden Arbeit der Vormittagsstunden,hatte der Schriftsteller dem Fortschwingen des produzierendenTriebwerks in seinem Innern, jenem motus animi continuus , worin � �nach Cicero das Wesen der Beredsamkeit besteht, auch nach derMittagsmahlzeit nicht Einhalt zu tun vermocht und ...

Informations

Publié par
Nombre de lectures 99
Langue Deutsch

Extrait

The Project Gutenberg EBook of Der Tod in Venedig, by Thomas Mann This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.net
Title: Der Tod in Venedig Author: Thomas Mann Release Date: April 22, 2004 [EBook #12108] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER TOD IN VENEDIG ***
Produced by Ari J Joki and PG Distributed Proofreaders
Thomas Mann Der Tod in Venedig
Die Texte folgen den Ausgaben: >Der Tod in Venedig< aus Mnchen, Hyperionverlag Hans von Weber 1912
Erstes Kapitel
Gustav Aschenbach oder von Aschenbach, wie seit seinem fnfzigsten Geburtstag amtlich sein Name lautete, hatte an einem Frhlingsnachmittag des Jahres 19.., das unserem Kontinent monatelang eine so gefahrdrohende Miene zeigte, von seiner Wohnung in der Prinz-Regentenstrae zu Mnchen aus, allein einen weiteren Spaziergang unternommen.berreizt von der schwierigen und gefhrlichen, eben jetzt eine hchste Behutsamkeit, Umsicht, Eindringlichkeit und Genauigkeit des Willens erfordernden Arbeit der Vormittagsstunden, hatte der Schriftsteller dem Fortschwingen des produzierenden Triebwerks in seinem Innern, jenemmotus animi continuus, worin nach Cicero das Wesen der Beredsamkeit besteht, auch nach der Mittagsmahlzeit nicht Einhalt zu tun vermocht und den entlastenden Schlummer nicht gefunden, der ihm, bei zunehmender Abnutzbarkeit seiner Krfte, einmal untertags so ntig war. So hatte er bald nach dem Tee das Freie gesucht, in der Hoffnung, daLuft und Bewegung ihn
wieder herstellen und ihm zu einem ersprielichen Abend verhelfen wrden. Es war Anfang Mai und, nach nakalten Wochen, ein falscher Hochsommer eingefallen. Der Englische Garten, obgleich nur erst zart belaubt, war dumpfig wie im August und in der Nhe der Stadt voller Wagen und Spaziergnger gewesen. Beim Aumeister, wohin stillere und stillere Wege ihn gefhrt, hatte Aschenbach eine kleine Weile den volkstmlich belebten Wirtsgartenberblickt, an dessen Rande einige Droschken und Equipagen hielten, hatte von dort bei sinkender Sonne seinen Heimweg auerhalb des Parksber die offene Flur genommen und erwartete, da er sich mde fhlte undber Fhring Gewitter drohte, am Nrdlichen Friedhof die Tram, die ihn in gerader Linie zur Stadt zurckbringen sollte. Zufllig fand er den Halteplatz und seine Umgebung von Menschen leer. Weder auf der gepflasterten Ungererstrae, deren Schienengeleise sich einsam gleiend gegen Schwabing erstreckten, noch auf der Fhringer Chaussee war ein Fuhrwerk zu sehen; hinter den Zunen der Steinmetzereien, wo zu Kauf stehende Kreuze, Gedchtnistafeln und Monumente ein zweites, unbehaustes Grberfeld bilden, regte sich nichts, und das byzantinische Bauwerk der Aussegnungshalle gegenber lag schweigend im Abglanz des scheidenden Tages. Ihre Stirnseite, mit griechischen Kreuzen und hieratischen Schildereien in lichten Farben geschmckt, weistberdies symmetrisch angeordnete Inschriften in Goldlettern auf, ausgewhlte, das jenseitige Leben betreffende Schriftworte wie etwa:Sie gehen ein in die Wohnung Gottesoder:Das ewige Licht leuchte ihnen; und der Wartende hatte whrend einiger Minuten eine ernste Zerstreuung darin gefunden, die Formeln abzulesen und sein geistiges Auge in ihrer durchscheinenden Mystik sich verlieren zu lassen, als er, aus seinen Trumereien zurckkehrend, im Portikus, oberhalb der beiden apokalyptischen Tiere, welche die Freitreppe bewachen, einen Mann bemerkte, dessen nicht ganz gewhnliche Erscheinung seinen Gedanken eine vllig andere Richtung gab. Ob er nun aus dem Innern der Halle durch das bronzene Tor hervorgetreten oder von auen unversehens heran und hinauf gelangt war, blieb ungewi. Aschenbach, ohne sich sonderlich in die Frage zu vertiefen, neigte zur ersteren Annahme. M��ig hochgewachsen, mager, bartlos und auffallend stumpfnsig, gehrte der Mann zum rothaarigen Typ und besadessen milchige und sommersprossige Haut. Offenbar war er durchaus nicht bajuwarischen Schlages: wie denn wenigstens der breit und gerade gerandete Basthut, der ihm den Kopf bedeckte, seinem Aussehen ein Geprge des Fremdlndischen und Weitherkommenden verlieh. Freilich trug er dazu den landesblichen Rucksack um die Schultern geschnallt, einen gelblichen Gurtanzug aus Lodenstoff, wie es schien, einen grauen Wetterkragenber dem linken Unterarm, den er in die Weiche gesttzt hielt, und in der Rechten einen mit eiserner Spitze versehenen Stock, welchen er schrg gegen den Boden stemmte und auf dessen Krcke er, bei gekreuzten F��en, die Hfte lehnte. Erhobenen Hauptes, so daan seinem hager dem losen Sporthemd entwachsenden Halse der Adamsapfel stark und nackt hervortrat, blickte er mit farblosen, rot bewimperten Augen, zwischen denen, sonderbar genug zu seiner kurz aufgeworfenen Nase passend, zwei senkrechte, energische Furchen standen, scharf sphend ins Weite. So--und vielleicht trug sein erhhter und erhhender Standort zu diesem Eindruck bei--hatte seine Haltung etwas herrischberschauendes, Khnes oder selbst Wildes; denn sei es, daer, geblendet, gegen die untergehende Sonne grimassierte oder daes sich um eine dauernde physiognomische Entstellung handelte: seine Lippen schienen zu kurz, sie waren vllig von den Zhnen zurckgezogen, dergestalt, dadiese, bis zum Zahnfleisch blogelegt, weiund lang dazwischen hervorbleckten. Wohl mglich, daAschenbach es bei seiner halb zerstreuten, halb inquisitiven Musterung des Fremden an Rcksicht hatte fehlen lassen;
denn pltzlich ward er gewahr, dajener seinen Blick erwiderte und zwar so kriegerisch, so gerade ins Auge hinein, so offenkundig gesonnen, die Sache aufsuerste zu treiben und den Blick des andern zum Abzug zu zwingen, daAschenbach, peinlich berhrt, sich abwandte und einen Gang die Zune entlang begann, mit dem beilufigen Entschlu, des Menschen nicht weiter achtzuhaben. Er hatte ihn in der nchsten Minute vergessen. Mochte nun aber das Wandererhafte in der Erscheinung des Fremden auf seine Einbildungskraft gewirkt haben oder sonst irgendein physischer oder seelischer Einfluim Spiele sein: eine seltsame Ausweitung seines Innern ward ihm ganzberraschend bewut, eine Art schweifender Unruhe, ein jugendlich durstiges Verlangen in die Ferne, ein Gefhl, so lebhaft, so neu oder doch so lngst entwhnt und verlernt, daer, die Hnde auf dem Rcken und den Blick am Boden, gefesselt stehen blieb, um die Empfindung auf Wesen und Ziel zu prfen. Es war Reiselust, nichts weiter; aber wahrhaft als Anfall auftretend und ins Leidenschaftliche, ja bis zur Sinnestuschung gesteigert. Er sah nmlich, als Beispiel gleichsam fr alle Wunder und Schrecken der mannigfaltigen Erde, die seine Begierde sich auf einmal vorzustellen trachtete,--sah wie mit leiblichem Auge eine ungeheuere Landschaft, ein tropisches Sumpfgebiet unter dickdunstigem Himmel, feucht,ppig und ungesund, eine von Menschen gemiedene Urweltwildnis aus Inseln, Morsten und Schlamm fhrenden Wasserarmen. Die flachen Eilande, deren Boden mit Blttern, so dick wie Hnde, mit riesigen Farnen, mit fettem, gequollenem und abenteuerlich blhendem Pflanzenwerkberwuchert war, sandten haarige Palmenschfte empor, und wunderlich ungestalte Bume, deren Wurzeln dem Stamm entwuchsen und sich durch die Luft in den Boden, ins Wasser senkten, bildeten verworrene Waldungen. Auf der stockenden, grnschattig spiegelnden Flut schwammen, wie Schsseln gro, milchweie Blumen; Vgel von fremder Art, hochschultrig, mit unfrmigen Schnbeln, standen auf hohen Beinen im Seichten und blickten unbeweglich zur Seite, whrend durch ausgedehnte Schilffelder ein klapperndes Wetzen und Rauschen ging, wie durch Heere von Geharnischten; dem Schauenden war es, als hauchte der laue, mephitische Odem dieser geilen und untauglichende ihn an, die in einem ungeheuerlichen Zustande von Werden oder Vergehen zu schweben schien, zwischen den knotigen Rohrstmmen eines Bambusdickichts glaubte er einen Augenblick die phosphoreszierenden Lichter des Tigers funkeln zu sehen--und fhlte sein Herz pochen vor Entsetzen und rtselhaftem Verlangen. Dann wich das Gesicht; und mit einem Kopfschtteln nahm Aschenbach seine Promenade an den Zunen der Grabsteinmetzereien wieder auf. Er hatte, zum mindesten seit ihm die Mittel zu Gebote gewesen wren, die Vorteile des Weltverkehrs beliebig zu genieen, das Reisen nicht anders denn als eine hygienische Maregel betrachtet, die gegen Sinn und Neigung dann und wann hatte getroffen werden mssen. Zu beschftigt mit den Aufgaben, welche sein Ich und die europische Seele ihm stellten, zu belastet von der Verpflichtung zur Produktion, der Zerstreuung zu abgeneigt, um zum Liebhaber der bunten Auenwelt zu taugen, hatte er sich durchaus mit der Anschauung begngt, die heute jedermann, ohne sich weit aus seinem Kreise zu rhren, von der Oberflche der Erde gewinnen kann, und war niemals auch nur versucht gewesen, Europa zu verlassen. Zumal seit sein Leben sich langsam neigte, seit seine Knstlerfurcht, nicht fertig zu werden,--diese Besorgnis, die Uhr mchte abgelaufen sein, bevor er das Seine getan und vllig sich selbst gegeben, nicht mehr als bloe Grille von der Hand zu weisen war, hatte seinueres Dasein sich fast ausschlielich auf die schne Stadt, die ihm zur Heimat geworden, und auf den rauhen Landsitz beschrnkt, den er sich im Gebirge errichtet und wo er die regnerischen Sommer verbrachte. Auch wurde denn, was ihn da eben so spt und pltzlich angewandelt, sehr bald durch Vernunft und von jung auf gebte Selbstzucht gem��igt
und richtig gestellt. Er hatte beabsichtigt, das Werk, fr welches er lebte, bis zu einem gewissen Punkte zu frdern, bevor er aufs Land bersiedelte, und der Gedanke einer Weltbummelei, die ihn auf Monate seiner Arbeit entfhren wrde, schien allzu locker und planwidrig, er durfte nicht ernstlich in Frage kommen. Und doch wute er nur zu wohl, aus welchem Grunde die Anfechtung so unversehens hervorgegangen war. Fluchtdrang war sie, daer es sich eingestand, diese Sehnsucht ins Ferne und Neue, diese Begierde nach Befreiung, Entbrdung und Vergessen,--der Drang hinweg vom Werke, von der Alltagssttte eines starren, kalten und leidenschaftlichen Dienstes. Zwar liebte er ihn und liebte auch fast schon den entnervenden, sich tglich erneuernden Kampf zwischen seinem zhen und stolzen, so oft erprobten Willen und dieser wachsenden Mdigkeit, von der niemand wissen und die das Produkt auf keine Weise, durch kein Anzeichen des Versagens und der Laheit verraten durfte. Aber verstndig schien es, den Bogen nicht zuberspannen und ein so lebhaft ausbrechendes Bedrfnis nicht eigensinnig zu ersticken. Er dachte an seine Arbeit, dachte an die Stelle, an der er sie auch heute wieder, wie gestern schon, hatte verlassen mssen und die weder geduldiger Pflege noch einem raschen Handstreich sich fgen zu wollen schien. Er prfte sie aufs neue, versuchte die Hemmung zu durchbrechen oder aufzulsen und liemit einem Schauder des Widerwillens vom Angriff ab. Hier bot sich keine auerordentliche Schwierigkeit, sondern was ihn lhmte, waren die Skrupeln der Unlust, die sich als eine durch nichts mehr zu befriedigende Ungengsamkeit darstellte. Ungengsamkeit freilich hatte schon dem Jngling als Wesen und innerste Natur des Talentes gegolten, und um ihretwillen hatte er das Gefhl gezgelt und erkltet, weil er wute, daes geneigt ist, sich mit einem frhlichen Ungefhr und mit einer halben Vollkommenheit zu begngen. Rchte sich nun also die geknechtete Empfindung, indem sie ihn verlie, indem sie seine Kunst frder zu tragen und zu beflgeln sich weigerte und alle Lust, alles Entzcken an der Form und am Ausdruck mit sich hinwegnahm? Nicht, daer Schlechtes herstellte: Dies wenigstens war der Vorteil seiner Jahre, daer sich seiner Meisterschaft jeden Augenblick in Gelassenheit sicher fhlte. Aber er selbst, whrend die Nation sie ehrte, er ward ihrer nicht froh, und es schien ihm, als ermangle sein Werk jener Merkmale feurig spielender Laune, die, ein Erzeugnis der Freude, mehr als irgend ein innerer Gehalt, ein gewichtigerer Vorzug, die Freude der genieenden Welt bildeten. Er frchtete sich vor dem Sommer auf dem Lande, allein in dem kleinen Hause mit der Magd, die ihm das Essen bereitete, und dem Diener, der es ihm auftrug; frchtete sich vor den vertrauten Angesichten der Berggipfel und-wnde, die wiederum seine unzufriedene Langsamkeit umstehen wrden. Und so tat denn eine Einschaltung not, etwas Stegreifdasein, Tagdieberei, Fernluft und Zufuhr neuen Blutes, damit der Sommer ertrglich und ergiebig werde. Reisen also,--er war es zufrieden. Nicht gar weit, nicht gerade bis zu den Tigern. Eine Nacht im Schlafwagen und eine Siesta von drei, vier Wochen an irgend einem Allerweltsferienplatze im liebenswrdigen Sden... So dachte er, whrend der Lrm der elektrischen Tram die Ungererstrae daher sich nherte, und einsteigend beschloer, diesen Abend dem Studium von Karte und Kursbuch zu widmen. Auf der Plattform fiel ihm ein, nach dem Manne im Basthut, dem Genossen dieses immerhin folgereichen Aufenthaltes, Umschau zu halten. Doch wurde ihm dessen Verbleib nicht deutlich, da er weder an seinem vorherigen Standort, noch auf dem weiteren Halteplatz, noch auch im Wagen ausfindig zu machen war.
Zweites Kapitel
Der Autor der klaren und mchtigen Prosa-Epope vom Leben Friedrichs von Preuen; der geduldige Knstler, der in langem Fleiden figurenreichen, so vielerlei Menschenschicksal im Schatten einer Idee versammelnden Romanteppich,Majamit Namen, wob; der Schpfer jener starken Erzhlung, dieEin Elender berschrieben ist und einer ganzen dankbaren Jugend die Mglichkeit sittlicher Entschlossenheit jenseits der tiefsten Erkenntnis zeigte; der Verfasser endlich (und damit sind die Werke seiner Reifezeit kurz bezeichnet) der leidenschaftlichen AbhandlungberGeist und Kunst, deren ordnende Kraft und antithetische Beredsamkeit ernste Beurteiler vermochte, sie unmittelbar neben Schillers Raisonnementber naive und sentimentalische Dichtung zu stellen: Gustav Aschenbach also war zu L., einer Kreisstadt der Provinz Schlesien, als Sohn eines hheren Justizbeamten geboren. Seine Vorfahren waren Offiziere, Richter, Verwaltungsfunktionre gewesen, Mnner, die im Dienste des Knigs, des Staates, ihr straffes, anstndig karges Leben gefhrt hatten. Innigere Geistigkeit hatte sich einmal, in der Person eines Predigers, unter ihnen verkrpert; rascheres, sinnlicheres Blut war der Familie in der vorigen Generation durch die Mutter des Dichters, Tochter eines bhmischen Kapellmeisters, zugekommen. Von ihr stammten die Merkmale fremder Rasse in seinemuern. Die Vermhlung dienstlich nchterner Gewissenhaftigkeit mit dunkleren, feurigeren Impulsen lieeinen Knstler und diesen besonderen Knstler erstehen. Da sein ganzes Wesen auf Ruhm gestellt war, zeigte er sich, wenn nicht eigentlich frh reif, so doch, dank der Entschiedenheit und persnlichen Prgnanz seines Tonfalls frh fr dieffentlichkeit reif und geschickt. Beinahe noch Gymnasiast, besaer einen Namen. Zehn Jahre spter hatte er gelernt, von seinem Schreibtische aus zu reprsentieren, seinen Ruhm zu verwalten in einem Briefsatz, der kurz sein mute (denn viele Ansprche drngen auf den Erfolgreichen, den Vertrauenswrdigen ein), gtig und bedeutend zu sein. Der Vierziger hatte, ermattet von den Strapazen und Wechselfllen der eigentlichen Arbeit, alltglich eine Post zu bewltigen, die Wertzeichen aus aller Herren Lndern trug. Ebensoweit entfernt vom Banalen wie vom Exzentrischen, war sein Talent geschaffen, den Glauben des breiten Publikums und die bewundernde, fordernde Teilnahme der Whlerischen zugleich zu gewinnen. So, schon als Jngling von allen Seiten auf die Leistung--und zwar die auerordentliche--verpflichtet, hatte er niemals den M��iggang, niemals die Fahrlssigkeit der Jugend gekannt. Als er um sein fnfunddreiigstes Jahr in Wien erkrankte,uerte ein feiner Beobachter ber ihn in Gesellschaft:Sehen Sie, Aschenbach hat von jeher nur so gelebt--und der Sprecher schlodie Finger seiner Linken fest zur Faust--;niemals so--und er liedie geffnete Hand bequem von der Lehne des Sessels hngen. Das traf zu; und das Tapfer-Sittliche daran war, daseine Natur von nichts weniger als robuster Verfassung und zur stndigen Anspannung nur berufen, nicht eigentlich geboren war. rztliche Frsorge hatte den Knaben vom Schulbesuch ausgeschlossen und auf huslichen Unterricht gedrungen. Einzeln, ohne Kameradschaft war er aufgewachsen und hatte doch zeitig erkennen mssen, daer einem Geschlecht angehrte, in dem nicht das Talent, wohl aber die physische Basis eine Seltenheit war, deren das Talent zu seiner Erfllung bedarf,--einem Geschlechte, das frh sein Bestes zu geben pflegt und in dem das Knnen es selten zu Jahren bringt. Aber sein Lieblingswort warDurchhalten,--er sah in seinem Friedrich-Roman nichts anderes als die Apotheose dieses Befehlswortes, das ihm als der Inbegriffleitend-ttiger Tugend erschien. Auch wnschte er sehnlichst, alt zu werden, denn er hatte von jeher dafr gehalten, dawahrhaft gro, umfassend, ja wahrhaft ehrenwert nur das Knstlertum zu nennen sei, dem es beschieden war, auf allen Stufen des Menschlichen charakteristisch fruchtbar zu sein.
Da er also die Aufgaben, mit denen sein Talent ihn belud, auf zarten Schultern tragen und weit gehen wollte, so bedurfte er hchlich der Zucht,--und Zucht war ja zum Glcke sein eingeborenes Erbteil von vterlicher Seite. Mit vierzig, mit fnfzig Jahren wie schon in einem Alter, wo andere verschwenden, schwrmen, die Ausfhrung groer Plne getrost verschieben, begann er seinen Tag beizeiten mit Strzen kalten Wassersber Brust und Rcken und brachte dann, ein Paar hoher Wachskerzen in silbernen Leuchtern zu Hupten des Manuskripts, die Krfte, die er im Schlaf gesammelt, in zwei oder drei inbrnstig gewissenhaften Morgenstunden der Kunst zum Opfer dar. Es war verzeihlich, ja, es bedeutete recht eigentlich den Sieg seiner Moralitt, wenn Unkundige die Maja-Welt oder die epischen Massen, in denen sich Friedrichs Heldenleben entrollte, fr das Erzeugnis gedrungener Kraft und eines langen Atems hielten, whrend sie vielmehr in kleinen Tagewerken aus hundert Einzelinspirationen zur Gr��e emporgeschichtet und nur darum so durchaus und an jedem Punkte vortrefflich waren, weil ihr Schpfer mit einer Willensdauer und Zhigkeit, derjenigenhnlich, die seine Heimatprovinz eroberte, jahrelang unter der Spannung eines und desselben Werkes ausgehalten und an die eigentliche Herstellung ausschlielich seine strksten und wrdigsten Stunden gewandt hatte. Damit ein bedeutendes Geistesprodukt auf der Stelle eine breite und tiefe Wirkung zuben vermge, mueine tiefe Verwandtschaft, ja bereinstimmung zwischen dem persnlichen Schicksal seines Urhebers und dem allgemeinen des mitlebenden Geschlechtes bestehen. Die Menschen wissen nicht, warum sie einem Kunstwerk Ruhm bereiten. Weit entfernt von Kennerschaft, glauben sie hundert Vorzge daran zu entdecken, um so viel Teilnahme zu rechtfertigen; aber der eigentliche Grund ihres Beifalls ist ein Unwgbares, ist Sympathie. Aschenbach hatte es einmal an wenig sichtbarer Stelle unmittelbar ausgesprochen, dabeinahe alles Groe, was dastehe, als ein Trotzdem dastehe, trotz Kummer und Qual, Armut, Verlassenheit, Krperschwche, Laster, Leidenschaft und tausend Hemmnissen zustande gekommen sei. Aber das war mehr als eine Bemerkung, es war eine Erfahrung, war geradezu die Formel seines Lebens und Ruhmes, der Schlssel zu seinem Werk; und was Wunder also, wenn es auch der sittliche Charakter, die uere Gebrde seiner eigentmlichsten Figuren war? ber den neuen, in mannigfach individuellen Erscheinungen wiederkehrenden Heldentyp, den dieser Schriftsteller bevorzugte, hatte schon frhzeitig ein kluger Zergliederer geschrieben: daer die Konzeptioneiner intellektuellen und jnglinghaften Mnnlichkeitsei,die in stolzer Scham die Zhne aufeinanderbeit und ruhig dasteht, whrend ihr die Schwerter und Speere durch den Leib gehen. Das war schn, geistreich und exakt, trotz seiner scheinbar allzu passivischen Prgung. Denn Haltung im Schicksal, Anmut in der Qual bedeutet nicht nur ein Dulden; sie ist eine aktive Leistung, ein positiver Triumph, und die Sebastian-Gestalt ist das schnste Sinnbild, wenn nicht der Kunstberhaupt, so doch gewider in Rede stehenden Kunst. Blickte man hinein in diese erzhlte Welt, sah man die elegante Selbstbeherrschung, die bis zum letzten Augenblick eine innere Unterhhlung, den biologischen Verfall vor den Augen der Welt verbirgt; die gelbe, sinnlich benachteiligte H��lichkeit, die es vermag, ihre schwelende Brunst zur reinen Flamme zu entfachen, ja, sich zur Herrschaft im Reiche der Schnheit aufzuschwingen; die bleiche Ohnmacht, welche aus den glhenden Tiefen des Geistes die Kraft holt, ein ganzesbermtiges Volk zu F��en des Kreuzes, zu _ _ ihren F��en niederzuwerfen; die liebenswrdige Haltung im leeren und strengen Dienste der Form; das falsche, gefhrliche Leben, die rasch entnervende Sehnsucht und Kunst des gebornen Betrgers: betrachtete man all dies Schicksal und wieviel gleichartiges noch, so konnte man zweifeln, ob esberhaupt einen anderen Heroismus gbe, als denjenigen
der Schwche. Welches Heldentum aber jedenfalls wre zeitgem��er als dieses? Gustav Aschenbach war der Dichter all derer, die am Rande der Erschpfung arbeiten, derberbrdeten, schon Aufgeriebenen, sich noch Aufrechthaltenden, all dieser Moralisten der Leistung, die, schmchtig von Wuchs und sprde von Mitteln, durch Willensverzckung und kluge Verwaltung sich wenigstens eine Zeitlang die Wirkungen der Gr��e abgewinnen. Ihrer sind viele, sie sind die Helden des Zeitalters. Und sie alle erkannten sich wieder in seinem Werk, sie fanden sich besttigt, erhoben, besungen darin, sie wuten ihm Dank, sie verkndeten seinen Namen. Er war jung und roh gewesen mit der Zeit und, schlecht beraten von ihr, war erffentlich gestrauchelt, hatte Migriffe getan, sich blogestellt, Verst��e gegen Takt und Besonnenheit begangen in Wort und Werk. Aber er hatte die Wrde gewonnen, nach welcher, wie er behauptete, jedem groen Talente ein natrlicher Drang und Stachel eingeboren ist, ja, man kann sagen, daseine ganze Entwicklung ein bewuter und trotziger, alle Hemmungen des Zweifels und der Ironie zurcklassender Aufstieg zur Wrde gewesen war. Lebendige, geistig unverbindliche Greifbarkeit der Gestaltung bildet das Ergtzen der brgerlichen Massen, aber leidenschaftlich unbedingte Jugend wird nur durch das Problematische gefesselt: und Aschenbach war problematisch, war unbedingt gewesen wie nur irgendein Jngling. Er hatte dem Geiste gefrnt, mit der Erkenntnis Raubbau getrieben, Saatfrucht vermahlen, Geheimnisse preisgegeben, das Talent verdchtigt, die Kunst verraten,--ja, whrend seine Bildwerke die glubig Genieenden unterhielten, erhoben, belebten, hatte er, der jugendliche Knstler, die Zwanzigjhrigen durch seine Zynismenber das fragwrdige Wesen der Kunst, des Knstlertums selbst in Atem gehalten. Aber es scheint, dagegen nichts ein edler und tchtiger Geist sich rascher, sich grndlicher abstumpft als gegen den scharfen und bitteren Reiz der Erkenntnis; und gewiist, dadie schwermtig gewissenhafteste Grndlichkeit des Jnglings Seichtheit bedeutet im Vergleich mit dem tiefen Entschlusse des Meister gewordenen Mannes, das Wissen zu leugnen, es abzulehnen, erhobenen Hauptes darber hinwegzusehen, sofern es den Willen, die Tat, das Gefhl und selbst die Leidenschaft im Geringsten zu lhmen, zu entmutigen, zu entwrdigen geeignet ist. Wie wre die berhmte Erzhlung vom Elendenwohl anders zu deuten denn als Ausbruch des Ekels gegen den unanstndigen Psychologismus der Zeit, verkrpert in der Figur jenes weichen und albernen Halbschurken, der sich ein Schicksal erschleicht, indem er sein Weib, aus Ohnmacht, aus Lasterhaftigkeit, aus ethischer Velleitt, in die Arme eines Unbrtigen treibt und aus Tiefe Nichtswrdigkeiten begehen zu drfen glaubt? Die Wucht des Wortes, mit welchem hier das Verworfene verworfen wurde, verkndete die Abkehr von allem moralischen Zweifelsinn, von jeder Sympathie mit dem Abgrund, die Absage an die Laxheit des Mitleidssatzes, daalles verstehen alles verzeihen heie, und was sich hier vorbereitete, ja schon vollzog, war jenesWunder der wiedergeborenen Unbefangenheit, auf welches ein wenig spter in einem der Dialoge des Autors ausdrcklich und nicht ohne geheimnisvolle Betonung die Rede kam. Seltsame Zusammenhnge! War es eine geistige Folge dieserWiedergeburt, dieser neuen Wrde und Strenge, daman um dieselbe Zeit ein fast berm��iges Erstarken seines Schnheitssinnes beobachtete, jene adelige Reinheit, Einfachheit und Ebenm��igkeit der Formgebung, welche seinen Produkten fortan ein so sinnflliges, ja gewolltes Geprge der Meisterlichkeit und Klassizitt verlieh? Aber moralische Entschlossenheit jenseits des Wissens, der auflsenden und hemmenden Erkenntnis,--bedeutet sie nicht wiederum eine Vereinfachung, eine sittliche Vereinfltigung der Welt und der Seele und also auch ein Erstarken zum Bsen, Verbotenen, zum sittlich Unmglichen? Und hat
Form nicht zweierlei Gesicht? Ist sie nicht sittlich und unsittlich zugleich,--sittlich als Ergebnis und Ausdruck der Zucht, unsittlich aber und selbst widersittlich, sofern sie von Natur eine moralische Gleichgltigkeit in sich schliet, ja, wesentlich bestrebt ist, das Moralische unter ihr stolzes und unumschrnktes Szepter zu beugen? Wie dem auch sei! Eine Entwicklung ist ein Schicksal; und wie sollte nicht diejenige anders verlaufen, die von der Teilnahme, dem Massenzutrauen einer weitenffentlichkeit begleitet wird, als jene, die sich ohne den Glanz und die Verbindlichkeiten des Ruhmes vollzieht? Nur ewiges Zigeunertum findet es langweilig und ist zu spotten geneigt, wenn ein groes Talent dem libertinischen Puppenstande entwchst, die Wrde des Geistes ausdrucksvoll wahrzunehmen sich gewhnt und die Hofsitten einer Einsamkeit annimmt, die voll unberatener, hart selbstndiger Leiden und Kmpfe war und es zu Macht und Ehren unter den Menschen brachte. Wieviel Spiel, Trotz, Genuistbrigens in der Selbstgestaltung des Talentes! Etwas Amtlich-Erzieherisches trat mit der Zeit in Gustav Aschenbachs Vorfhrungen ein, sein Stil entriet in spteren Jahren der unmittelbaren Khnheiten, der subtilen und neuen Abschattungen, er wandelte sich ins Mustergltig-Feststehende, Geschliffen-Herkmmliche, Erhaltende, Formelle, selbst Formelhafte, und wie dieberlieferung es von Ludwig dem Vierzehnten wissen will, so verbannte der Alternde aus seiner Sprachweise jedes gemeine Wort: Damals geschah es, dadie Unterrichtsbehrde ausgewhlte Seiten von ihm in die vorgeschriebenen Schullesebcherbernahm. Es war ihm innerlich gem��, und er lehnte nicht ab, als ein deutscher Frst, soeben zum Throne gelangt, dem Dichter desFriedrichzu seinem fnfzigsten Geburtstag den persnlichen Adel verlieh. Nach einigen Jahren der Unruhe, einigen Versuchsaufenthalten da und dort whlte er frhzeitig Mnchen zum dauernden Wohnsitz und lebte dort in brgerlichem Ehrenstande, wie er dem Geiste in besonderen Einzelfllen zuteil wird. Die Ehe, die er in noch jugendlichem Alter mit einem Mdchen aus gelehrter Familie eingegangen, wurde nach kurzer Glcksfrist durch den Tod getrennt. Eine Tochter, schon Gattin, war ihm geblieben. Einen Sohn hatte er nie besessen. Gustav von Aschenbach war ein wenig unter Mittelgr��e, brnett, rasiert. Sein Kopf erschien ein wenig zu groim Verhltnis zu der fast zierlichen Gestalt. Sein rckwrts gebrstetes Haar, am Scheitel gelichtet, an den Schlfen sehr voll und stark ergraut, umrahmte eine hohe, zerklftete und gleichsam narbige Stirn. Der Bgel einer Goldbrille mit randlosen Glsern schnitt in die Wurzel der gedrungenen, edel gebogenen Nase ein. Der Mund war gro, oft schlaff, oft pltzlich schmal und gespannt; die Wangenpartie mager und gefurcht, das wohlausgebildete Kinn weich gespalten. Bedeutende Schicksale schienenber dies meist leidend seitwrts geneigte Haupt hinweggegangen zu sein, und doch war die Kunst es gewesen, die hier jene physiognomische Durchbildungbernommen hatte, welche sonst das Werk eines schweren, bewegten Lebens ist. Hinter dieser Stirn waren die blitzenden Repliken des Gesprchs zwischen Voltaire und dem Knige ber den Krieg geboren; diese Augen, mde und tief durch die Glser blickend, hatten das blutige Inferno der Lazarette des Siebenjhrigen Krieges gesehen. Auch persnlich genommen ist ja die Kunst ein erhhtes Leben. Sie beglckt tiefer, sie verzehrt rascher. Sie grbt in das Antlitz ihres Dieners die Spuren imaginrer und geistiger Abenteuer, und sie erzeugt, selbst bei klsterlicher Stille des ueren Daseins, auf die Dauer eine Verwhntheit,berfeinerung, Mdigkeit und Neugier der Nerven, wie ein Leben voll ausschweifendster Leidenschaften und Gensse sie kaum hervorzubringen vermag.
Drittes Kapitel
Mehrere Geschfte weltlicher und literarischer Natur hielten den Reiselustigen noch etwa zwei Wochen nach jenem Spaziergang in Mnchen zurck. Er gab endlich Auftrag, sein Landhaus binnen vier Wochen zum Einzuge instandzusetzen und reiste an einem Tage zwischen Mitte und Ende des Mai mit dem Nachtzuge nach Triest, wo er nur vierundzwanzig Stunden verweilte und sich am nchstfolgenden Morgen nach Pola einschiffte. Was er suchte, war das Fremdartige und Bezuglose, welches jedoch rasch zu erreichen wre, und so nahm er Aufenthalt auf einer seit einigen Jahren gerhmten Insel der Adria, unfern der istrischen Kste gelegen, mit farbig zerlumptem, in wildfremden Lauten redendem Landvolk und schn zerrissenen Klippenpartien dort, wo das Meer offen war. Allein Regen und schwere Luft, eine kleinweltliche, geschlossensterreichische Hotelgesellschaft und der Mangel jenes ruhevoll innigen Verhltnisses zum Meere, das nur ein sanfter, sandiger Strand gewhrt, verdrossen ihn, lieen ihn nicht das Bewutsein gewinnen, den Ort seiner Bestimmung getroffen zu haben; ein Zug seines Innern, ihm war noch nicht deutlich, wohin, beunruhigte ihn, er studierte Schiffsverbindungen, er blickte suchend umher, und auf einmal, zugleichberraschend und selbstverstndlich, stand ihm sein Ziel vor Augen. Wenn manber Nacht das Unvergleichliche, das mrchenhaft Abweichende zu erreichen wnschte, wohin ging man? Aber das war klar. Was sollte er hier? Er war fehlgegangen. Dorthin hatte er reisen wollen. Er sumte nicht, den irrigen Aufenthalt zu kndigen. Anderthalb Wochen nach seiner Ankunft auf der Insel trug ein geschwindes Motorboot ihn und sein Gepck in dunstiger Frheber die Wasser in den Kriegshafen zurck, und er ging dort nur an Land, um sogleichber einen Brettersteg das feuchte Verdeck eines Schiffes zu beschreiten, das unter Dampf zur Fahrt nach Venedig lag. Es war ein betagtes Fahrzeug italienischer Nationalitt, veraltet, ruig und dster. In einer hhlenartigen, knstlich erleuchteten Koje des inneren Raumes, wohin Aschenbach sofort nach Betreten des Schiffes von einem buckligen und unreinlichen Matrosen mit grinsender Hflichkeit gentigt wurde, sahinter einem Tische, den Hut schief in der Stirn und einen Zigarettenstummel im Mundwinkel, ein ziegenbrtiger Mann von der Physiognomie eines altmodischen Zirkusdirektors, der mit grimassenhaft leichtem Geschftsgebaren die Personalien der Reisenden aufnahm und ihnen die Fahrscheine ausstellte.Nach Venedig!wiederholte er Aschenbachs Ansuchen, indem er den Arm reckte und die Feder in den breiigen Restinhalt eines schrg geneigten Tintenfasses stie.Nach Venedig erster Klasse! Sie sind bedient, mein Herr!Und er schrieb groe Krhenf��e, streute aus einer Bchse blauen Sand auf die Schrift, lieihn in eine tnerne Schale ablaufen, faltete das Papier mit gelben und knochigen Fingern und schrieb aufs neue.Ein glcklich gewhltes Reiseziel!schwatzte er unterdessen.Ah, Venedig! Eine herrliche Stadt! Eine Stadt von unwiderstehlicher Anziehungskraft fr den Gebildeten, ihrer Geschichte sowohl wie ihrer gegenwrtigen Reize wegen!Die glatte Raschheit seiner Bewegungen und das leere Gerede, womit er sie begleitete, hatten etwas Betubendes und Ablenkendes, etwa als besorgte er, der Reisende mchte in seinem Entschlu, nach Venedig zu fahren, noch wankend werden. Er kassierte eilig und liemit Croupiergewandtheit den Differenzbetrag auf den fleckigen Tuchbezug des Tisches fallen. Gute Unterhaltung, mein Herr!sagte er mit schauspielerischer Verbeugung.Es ist mir eine Ehre, Sie zu befrdern... Meine Herren!rief er sogleich mit erhobenem Arm und tat, als sei das Geschft im flottesten Gange, obgleich niemand mehr da war, der nach Abfertigung verlangt htte. Aschenbach kehrte auf das Verdeck zurck. Einen Arm auf die Brstung gelehnt, betrachtete er das m��ige Volk,
das, der Abfahrt des Schiffes beizuwohnen, am Quai lungerte, und die Passagiere an Bord. Diejenigen der zweiten Klasse kauerten, Mnner und Weiber, auf dem Vorderdeck, indem sie Kisten und Bndel als Sitze benutzten. Eine Gruppe junger Leute bildete die Reisegesellschaft des ersten Verdecks, Polenser Handelsgehlfen, wie es schien, die sich in angeregter Laune zu einem Ausflug nach Italien vereinigt hatten. Sie machten nicht wenig Aufhebens von sich und ihrem Unternehmen, schwatzten, lachten, genossen selbstgefllig das eigene Gebrdenspiel und riefen den Kameraden, die, Portefeuilles unterm Arm, in Geschften die Hafenstrae entlang gingen und den Feiernden mit dem Stckchen drohten,ber das Gelnder gebeugt, zungengelufige Spottreden nach. Einer, in hellgelbem,bermodisch geschnittenem Sommeranzug, roter Krawatte und khn aufgebogenem Panama, tat sich mit krhender Stimme an Aufgerumtheit vor allen andern hervor. Kaum aber hatte Aschenbach ihn genauer ins Auge gefat, als er mit einer Art von Entsetzen erkannte, dader Jngling falsch war. Er war alt, man konnte nicht zweifeln. Runzeln umgaben ihm Augen und Mund. Das matte Karmesin der Wangen war Schminke, das braune Haar unter dem farbig umwundenen Strohhut Percke, sein Hals verfallen und sehnig, sein aufgesetztes Schnurrbrtchen und die Fliege am Kinn gefrbt, sein gelbes und vollzhliges Gebi, das er lachend zeigte, ein billiger Ersatz, und seine Hnde, mit Siegelringen an beiden Zeigefingern, waren die eines Greises. Schauerlich angemutet sah Aschenbach ihm und seiner Gemeinschaft mit den Freunden zu. Wuten, bemerkten sie nicht, daer alt war, daer zu Unrecht ihre stutzerhafte und bunte Kleidung trug, zu Unrecht einen der Ihren spielte? Selbstverstndlich und gewohnheitsm��ig, wie es schien, duldeten sie ihn in ihrer Mitte, behandelten ihn als ihresgleichen, erwiderten ohne Abscheu seine neckischen Rippenst��e. Wie ging das zu? Aschenbach bedeckte seine Stirn mit der Hand und schlodie Augen, die heiwaren, da er zu wenig geschlafen hatte. Ihm war, als lasse nicht alles sich ganz gewhnlich an, als beginne eine trumerische Entfremdung, eine Entstellung der Welt ins Sonderbare um sich zu greifen, der vielleicht Einhalt zu tun wre, wenn er sein Gesicht ein wenig verdunkelte und aufs neue um sich schaute. In diesem Augenblick jedoch berhrte ihn das Gefhl des Schwimmens, und mit unvernnftigem Erschrecken aufsehend, gewahrte er, dader schwere und dstere Krper des Schiffes sich langsam vom gemauerten Ufer lste. Zollweise, unter dem Vorwrts-und Rckwrtsarbeiten der Maschine, verbreitete sich der Streifen schmutzig schillernden Wassers zwischen Quai und Schiffswand, und nach schwerflligen Manvern kehrte der Dampfer seinen Bugspriet dem offenen Meere zu. Aschenbach ging nach der Steuerbordseite hinber, wo der Bucklige ihm einen Liegestuhl aufgeschlagen hatte und ein Steward in fleckigem Frack nach seinen Befehlen fragte. Der Himmel war grau, der Wind feucht; Hafen und Inseln waren zurckgeblieben, und rasch verlor sich aus dem dunstigen Gesichtskreise alles Land. Flocken von Kohlenstaub gingen, gedunsen von Nsse, auf das gewaschene Deck nieder, das nicht trocknen wollte. Schon nach einer Stunde spannte man ein Segeldach aus, da es zu regnen begann. In seinen Mantel geschlossen, ein Buch im Schoe, ruhte der Reisende, und die Stunden verrannen ihm unversehens. Es hatte zu regnen aufgehrt; man entfernte das leinene Dach. Der Horizont war vollkommen. Unter der breiten Kuppel des Himmels dehnte sich rings die ungeheure Scheibe desden Meeres; aber im leeren, ungegliederten Raume fehlt unserem Sinn auch das Mader Zeit, und wir dmmern im Ungemessenen. Schattenhaft sonderbare Gestalten, der greise Geck, der Ziegenbart aus dem Schiffsinnern, gingen mit unbestimmten Gebrden, mit verwirrten Traumworten durch den Geist des Ruhenden, und er schlief ein. Um Mittag ntigte man ihn hinab, damit er in dem korridorartigen
Speisesaal, auf den die Tren der Schlafkojen mndeten, zu Hupten eines langen Tisches, an dessen unterem Ende die Handelsgehlfen, einschlielich des Alten, seit zehn Uhr mit dem munteren Kapitn pokulierten, die bestellte Mahlzeit nhme. Sie war armselig, und er beendete sie rasch. Es trieb ihn ins Freie, nach dem Himmel zu sehen: ob er denn nichtber Venedig sich erhellen wollte. Er hatte nicht anders gedacht, als dadies geschehen msse, denn stets hatte die Stadt ihn im Glanze empfangen. Aber Himmel und Meer blieben trb und bleiern, zeitweilig ging neblichter Regen nieder, und er fand sich darein, auf dem Wasserwege ein anderes Venedig zu erreichen, als er, zu Lande sich nhernd, je angetroffen hatte. Er stand am Fockmast, den Blick im Weiten, das Land erwartend. Er gedachte des schwermtig-enthusiastischen Dichters, dem vormals die Kuppeln und Glockentrme seines Traumes aus diesen Fluten gestiegen waren, er wiederholte im Stillen einiges von dem, was damals an Ehrfurcht, Glck und Trauer zu mavollem Gesange geworden, und von schon gestalteter Empfindung mhelos bewegt, prfte er sein ernstes und mdes Herz, ob eine erneuernde Begeisterung und Verwirrung, ein sptes Abenteuer des Gefhles dem fahrenden M��iggnger vielleicht noch vorbehalten sein knne. Da tauchte zur Rechten die flache Kste auf, Fischerboote belebten das Meer, die Bderinsel erschien, der Dampfer liesie zur Linken, glitt verlangsamten Ganges durch den schmalen Port, der nach ihr benannt ist, und auf der Lagune, angesichts bunt armseliger Behausungen hielt er ganz, da die Barke des Sanittsdienstes erwartet werden mute. Eine Stunde verging, bis sie erschien. Man war angekommen und war es nicht; man hatte keine Eile und fhlte sich doch von Ungeduld getrieben. Die jungen Polenser, patriotisch angezogen auch wohl von den militrischen Hornsignalen, die aus der Gegend derffentlichen Grten herber das Wasser klangen, waren auf Deck gekommen, und, vom Asti begeistert, brachten sie Lebehochs auf die drben exerzierenden Bersaglieri aus. Aber widerlich war es zu sehen, in welchen Zustand den aufgestutzten Greisen seine falsche Gemeinschaft mit der Jugend gebracht hatte. Sein altes Hirn hatte dem Weine nicht wie die jugendlich rstigen Stand zu halten vermocht, er war klglich betrunken. Verbldeten Blicks, eine Zigarette zwischen den zitternden Fingern, schwankte er, mhsam das Gleichgewicht haltend, auf der Stelle, vom Rausche vorwrts und rckwrts gezogen. Da er beim ersten Schritte gefallen wre, getraute er sich nicht vom Fleck, doch zeigte er einen jammervollenbermut, hielt jeden, der sich ihm nherte, am Knopfe fest, lallte, zwinkerte, kicherte, hob seinen beringten, runzeligen Zeigefinger zu alberner Neckerei und leckte auf abscheulich zweideutige Art mit der Zungenspitze die Mundwinkel. Aschenbach sah ihm mit finsteren Brauen zu, und wiederum kam ein Gefhl von Benommenheit ihn an, so, als zeige die Welt eine leichte, doch nicht zu hemmende Neigung, sich ins Sonderbare und Fratzenhafte zu entstellen; ein Gefhl, dem nachzuhngen freilich die Umstnde ihn abhielten, da eben die stampfende Ttigkeit der Maschine aufs neue begann und das Schiff seine so nah dem Ziel unterbrochene Fahrt durch den Kanal von San Marco wieder aufnahm. So sah er ihn denn wieder, den erstaunlichsten Landungsplatz, jene blendende Komposition phantastischen Bauwerks, welche die Republik den ehrfrchtigen Blicken nahender Seefahrer entgegenstellte: die leichte Herrlichkeit des Palastes und die Seufzerbrcke, die Sulen mit Lw' und Heiligem am Ufer, die prunkend vortretende Flanke des Mrchentempels, den Durchblick auf Torweg und Riesenuhr, und anschauend bedachte er, dazu Lande, auf dem Bahnhof in Venedig anlangen, einen Palast durch eine Hintertr betreten heie, und daman nicht anders als wie nun er, als zu Schiffe, alsber das hohe Meer die unwahrscheinlichste der Stdte erreichen sollte.
  • Univers Univers
  • Ebooks Ebooks
  • Livres audio Livres audio
  • Presse Presse
  • Podcasts Podcasts
  • BD BD
  • Documents Documents