news aktuell IR-Forum 2003 Frankfurt/Main, 15. April 2003 Benchmark-Studie Ad-hoc-Publizität 2003, Jochen Gutzy Meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, in den vergangenen Monaten wurde viel über die Vertrauenskrise an den Finanzmärkten nach-gedacht und geschrieben. Der Deutsche Corporate Governance Kodex, die Neusegmentierung des deutschen Aktienmarktes und die jüngsten Vorschläge der Bundesregierung zur Stärkung des Anlegerschutzes – sie haben nur ein einziges Ziel: das Vertrauen der Anleger in die Märkte zurückzubringen. Eine zentrale Rolle spielt in der aktuellen Diskussion wieder einmal – so ist man versucht zu sagen – die Ad-hoc-Publizität. Und das zu Recht. Denn der Gesetzgeber selbst hat diesem Bereich der Kapitalmarktpublizität eine Sonderrolle bei der Offenlegung kursbeeinflussender Informationen zugedacht. Die Ad-hoc-Publizität soll verhindern, dass jene, die durch ihre Stellung im Unternehmen einen besonderen Zugang zu Informationen haben, daraus Profit schlagen oder – wie es der Gesetzgeber ausdrückt – einen „wirtschaftlichen Sondervorteil“ ziehen. Zugegeben, die Bilanz seit der Neuregelung der Ad-hoc-Publizität durch das Wertpapier-handelsgesetz im Jahre 1995 fällt auf den ersten Blick nicht gerade positiv aus. Die öffentliche Diskussion ist durch Begriffe wie „Meldeflut“ und „Missbrauch“ geprägt. Doch wer die Schuld allein bei den Emittenten sucht, der macht es sich zu leicht. Die Umsetzung der ...
Meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
in den vergangenen Monaten wurde viel über die Vertrauenskrisean denFinanzmärkten nach gedacht und geschrieben. Der Deutsche Corporate Governance Kodex, die Neusegmentierung des deutschen Aktienmarktes und die jüngsten Vorschläge der Bundesregierung zur Stärkung des Anlegerschutzes – sie haben nur ein einziges Ziel: das Vertrauender Anleger in die Märkte zurückzubringen. Eine zentrale Rolle spielt in der aktuellen Diskussion wieder einmal – so ist man versucht zu sagen – die AdhocPublizität.
Und das zu Recht. Denn der Gesetzgeber selbst hat diesem Bereich der Kapitalmarktpublizität eine Sonderrolle bei der Offenlegung kursbeeinflussender Informationen zugedacht. Die Adhoc Publizität soll verhindern, dass jene, die durch ihre Stellung im Unternehmen einen besonderen Zugang zu Informationen haben, daraus Profit schlagen oder – wie es der Gesetzgeber ausdrückt – einen „wirtschaftlichen Sondervorteil“ ziehen.
Zugegeben, die Bilanz seit der Neuregelung der AdhocPublizität durch das Wertpapier handelsgesetz im Jahre 1995 fällt auf den ersten Blick nicht gerade positivaus. Die öffentliche Diskussion ist durch Begriffe wie „Meldeflut“ und „Missbrauch“ geprägt. Doch wer die Schuld allein bei den Emittenten sucht, der macht es sich zu leicht. Die Umsetzung der AdhocPublizität ist für die Investor Relations Manager der Unternehmen häufig genug eine schwierige Grat wanderung. Sie vollzieht sich in dem Spannungsfeld aus den Vorgaben des Kapitalmarktrechts, den Informationsbedürfnissen der Financial Community und dem legitimen Selbstdarstellungs bedürfnis der Unternehmen.
Besonders deutlich wird dies an der Struktur der Meldeinhalte. So entfiel im vergangenen Jahr die Hälfte der AdhocMitteilungen auf Sachverhalte aus dem Bereich der Regelpublizität. Offenbar gehen unter dem Druck der Financial Community immer mehr Unternehmen dazu über, vorläufige Geschäftszahlen zu veröffentlichen. Die Folge ist eine der Transparenz nicht dienliche Mehrfachveröffentlichung von Sachverhalten.
Das Autorenteam der BenchmarkStudie AdhocPublizität 2003 hat dies zum Anlass genommen, sowohl mit jenen zu sprechen, die für die vielfach kritisierte Meldepraxis verantwortlich zeichnen,
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als auch mit jenen, die die Meldungen in Preissignale umsetzen, also den Finanzanalysten und Asset Managern. Unser Ziel war es, differenziertes Bild von dem AdhocPublizitätsverhalten zu gewinnen und Anhaltspunkte für eine Verbesserung der Informationspolitik aufzuzeigen.
Hierzu wurden die von den in die Studie einbezogenen Unternehmen im Jahr 2002 verbreiteten AdhocMeldungen analysiert. Darüber hinaus wurde imMärz dieses Jahres eine standardisierte OnlineBefragung durchgeführt. 55 Unternehmen der bedeutenden deutschen Aktienindizes (Dax, TecDax, MDax und SDax) und des österreichischen Auswahlindex ATX Prime sowie gut 70 Institutionen haben sich an der Umfrage beteiligt. Wie Sie sehen, sind die stark kapitalisierten DaxUnternehmen leicht überrepräsentiert, wohingegen die Unternehmen des österreichischen Auswahlindex ATX Prime etwas unterrepräsentiert sind.
Was sind nun die Ergebnisse der BenchmarkStudie AdhocPublizität 2003? Die guten Nachrichten vorweg. Erstens: Der Anstieg der „Meldeflut“ scheint vorerst gestoppt. Das Melde aufkommen ist im vergangenen Jahr bereits zum zweiten Mal in Folge auf nunmehr rund vier einhalb Tausend AdhocMitteilungen zurückgegangen. Nach bislang noch unveröffentlichten Zahlen gingen im Jahr 2002 insgesamt 4.491 AdhocVeröffentlichungen bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ein. Im Durchschnitt hat damit jedes deutsche Unternehmen der Studie 4,7 Pflichtmitteilungen verbreiten lassen. Doch die Bilanz darf nicht darüber hinweg täuschen, dass das Meldeaufkommen die Financial Community vor erhebliche Herausforderungen stellt. Immerhin ein Viertel der befragten Investmentprofis bekommt von den Unternehmen der eigenen „Watch List“ mehr als 20 Unternehmensmeldungen pro Woche auf den Bildschirm– zusätzlich zu den anderen Informationsquellen, wie Jahresabschlüssen, Quartalsberichten, Analystenkonferenzen und One on Ones wohlgemerkt. Knapp zwei Drittel der Befragten stehen weniger als 30 Minuten für die Analyse und Bewertung einer AdhocMitteilung zur Verfügung.
Zweitens: Die AdhocPublizität hat die ihr zugedachte Sonderrolle bei der Offenlegung kurs beeinflussender Sachverhalte offenbar nicht wie vielfach befürchtet eingebüßt. Zwei Drittel der befragten Financial Professionals messen AdhocMitteilungen eine hohe bis sehrhohe Bedeutung bei ihren Anlageempfehlungen bzw. entscheidungen bei. Allerdings stellt bereits jeder dritte Investmentprofi die Sonderrolle der AdhocPublizität in Frage.
Unter dem Strich ist die Financial Community mit der Meldepraxis zufrieden, wenn auch nicht gerade begeistert. Rund zwei Drittel der befragten Investmentprofis zeigten sich zufrieden, ein Drittel der Befragten sieht Verbesserungsbedarf. Dem positiven Selbstbild der Unternehmen leisten diese Ergebnisse jedoch offenbar keinen Abbruch. Denn jeder zweite IRVerantwortliche sieht einen Beleg für eine hohe Akzeptanz des Meldeverhaltens des eigenen Unternehmens in der Financial Community. Ein Drittel der befragten IRProfis schätzt die
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Akzeptanz des eigenen AdhocPublizitätsverhaltens sogar als „sehr hoch“ ein. Dies muss um so mehr überraschen, als sich eine systematische Erfolgskontrolle bei der AdhocPublizität wie auch den Investor Relations insgesamt noch nicht durchgesetzt hat.
Wo liegen mögliche Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Meldepraxis? Verbesserungen mahnen die Financial Professionals bei der Bereitstellung von Hintergrundinformationen an. Hier zeigte sich fast jeder zweite Investmentprofi unzufrieden mit der Informationspolitik der Unternehmen. Für Kritik sorgt auch die Erreichbarkeit des TopManagements an Tagen, an denen eine Adhoc Mitteilung verbreitet wird. Auch hier zeigte sich die Hälfte der befragten Financial Professionals unzufrieden.
Doch dies darf nicht weiter verwundern. Denn nur bei jedem zweiten Unternehmen ist die Umsetzung der AdhocPublizität „Chefsache“ – sprich: nur bei jedem zweiten Unternehmenist zumindest ein Vorstand direkt in die Erfüllung der AdhocPublizitätspflicht eingebunden. Bestenfalls eins von zehn Unternehmen verfügt über einen AdhocPublizitätsausschuss. Überraschend großzügig wird auch die Umsetzung der AdhocPublizität gehandhabt. Nicht einmal jedes fünfte Unternehmen hatden Umgang mit kursbeeinflussenden Informationen oder mit Anfragen von Analysten und Journalisten im Vorfeld von kursrelevanten Ereignissen schriftlich geregelt.
Lassen Sie uns nun noch einen Blick auf die aktuelle Diskussion um den Finanzplatz Deutschland werfen.
Ein überwiegend positives Echo löste der Vorschag aus, die Emittenten zur Darstellung der wirtschaftlichen Auswirkungen einer Tatsache auf die Unternehmen zu verpflichten. Wie Ihnen bekannt ist, muss in einer AdhocMitteilung bislang nur der Sachverhaltselbst veröffentlicht werden. So manche AdhocMeldung gibt daher Rätsel über die finanziellen Konsequenzen für das Unternehmen auf. Mit diesem Rätselraten soll nun nach dem Willen der Investmentprofis wie auch der IRVerantwortlichen Schluss sein. Vier Fünftel der Financial Professionals und die Hälfte der IRProfis begrüßte diesen Vorstoß.
Eine positive Resonanz löste auch der Vorschlag einer stärkeren Standardisierung der Adhoc Publizität aus – zumindest in den Reihen der Financial Community. Zwei Drittel der Investmentprofis begrüßte den Vorschlag, kursbeeinflussende Sachverhalte ähnlich wie in den Vereinigten Staaten in standardisierter Form offenzulegen. Gänzlich anders das Bild auf der Unternehmensseite: Nur bei einem Viertel der befragtenIRVerantwortlichen traf der Vorschlag auf Zustimmung, ein Viertel der Befragten lehnte ihn dagegen ab. Jeder zweite IR Verantwortliche zeigte sich noch unentschlossen.
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Umgekehrt das Stimmungsbild bei der Frage nach dem Verbreitungsweg. Drei Viertel der IR Profis sprechen sich dafür aus, AdhocMitteilungen ausschließlich über elektronisch betriebene Informationsverbreitungssysteme wie etwa euro adhoc zu veröffentlichen. Von den Financial Professionals schließen sich nur 40 Prozent dieser Meinung an. Die Hälfte der befragten Investmentprofis lehnt den Vorschlag dagegen ab.
Geteilt sind die Auffassungen in der Frage der Erweiterung des Deutschen Corporate Governance Kodex um Regelungen zur AdhocPublizitätspflicht. So spricht sich jeder zweite Investmentprofi für die Verankerung eines AdhocPublizitätsausschusses und die Pflicht zur Verabschiedung von Grundsätzen über die Umsetzung der AdhocPublizität im Verhaltenskodex aus. Bei den Unternehmen stoßen diese Vorschläge jedoch auf wenig Gegenliebe: Immerhin die Hälfte der IRVerantwortlichen lehnt jede Erweiterung des Corporate Governance Codex in dieser Richtung kategorisch ab.
Gespalten sind die Financial Professionals auf der einen Seite und die Unternehmen auf der anderen Seite auch in der Frage der persönlichen Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten. Zwei Drittel der Investmentprofis wollen die Haftung bei Verstößen gegen die AdhocPublizität auf die Mitglieder der Organe ausdehnen, ein Viertel der Befragten lehnt den Vorschlag ab. Ganz anders das Stimmungsbild bei den Unternehmen: Nur ein Viertel der IRVerantwortlichen begrüßt diesen Vorstoß, jeder dritte lehnt den Vorschlag ab dagegen ab. Ein Drittel der IRProfis hat noch keine abschließende Meinung.
Interessant sind die Ergebnisse zu der Frage nach den Auswirkungen des Vierten Finanz marktförderungsgesetzes auf die Informationspolitik der Unternehmen gegenüber der Financial Community. Offenbar hat die Verschärfung der Haftungskonsequenzen bei Verstößen gegen die AdhocPublizität zu einer größeren Zurückhaltung beim Umgang mit Prognosen und einer Ausweitung der Berichterstattung über Geschäftsrisiken im Rahmen der Regelpublizität geführt. Ob die Verschärfung der Rahmenbedingungen unter dem Strich zu einer Verbesserung der Transparenz geführt hat bzw. führen wird, kann im Rahmen der Studie nicht beantwortet werden. Zweifel scheinen aber doch angebracht.
Wenig euphorisch fallen die Einschätzungen zu dem Exchange Reporting System aus. Unternehmen des Prime Standard sind wie Sie wissen dazu verpflichtet, Jahresabschlüsse, Quartalsberichte und Finanzkalender via ERS an die Frankfurter Wertpapierbörse zu übermitteln. Nur jeder dritte Financial Professional bzw. IRVerantwortliche rechnet aber mit einer Verbesserung der Transparenz des deutschen Aktienmarktes durch das ERS. Besonder skeptisch zeigen sich dabei die Unternehmen. Gut ein Viertel der IRProfis erwartet keine positiven Auswirkungen auf die Transparenz am Finanzplatz Deutschland.
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Meine Damen und Herren, die AdhocMeldepraxis am Finanzplatz Deutschland ist in vielerlei Hinsicht besser als ihr Ruf. Mehr noch in der Vergangenheit hängt das Urteil über die Qualität der Informationspolitik vom einzelnen Unternehmen und weniger von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Branche oder einem bestimmten Aktienindex ab.
Die Studie zeigt aber auch, dass die Unternehmen keinen Grund haben, sich gelassen zurück zulehnen. Vieles ist verbesserungsbedürftig, vor allem bei der Nachbereitung der verbreiteten Ad hocMitteilungen. Darüber hinaus legen die Ergebnisse der Studie den Schluss nahe, dass der Ruf nach dem Gesetzgeber nicht automatisch zu einer Verbesserung der Transparenz führt. Jede Verschärfung der rechtlichen Rahmenbedingungen führt auf Unternehmensseite zu dem Bemühen, Haftungsrisiken zu minimieren. Doch darunter leidet fast zwangsläufig die Aussage kraft der Unternehmensmitteilungen. Wenn Sie mir eine persönliche Bemerkung gestatten: Ganz ohne die Bereitschaft der Marktteilnehmer wird das Vertrauen daher kaum in die Märkte zurückkehren.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.