Voyage d étude INSOS 2006 JT Deutsch
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Insos auf Studienreise 2006 / ein Kurzbericht Das Hauptziel unserer kurzen, aber intensiven Reise war, uns ein Bild davon zu machen, wie unsere nordischen Kolleginnen und Kollegen in Schweden Menschen mit Behinderung betreuen und integrieren. Einige von uns hatten gewisse Vorstellungen davon, nachdem sie die umfassenden Informationen im Internet durchsucht hatten, und wollten eine Bestätigung von dem, was sie zu verstehen meinten. Andere beschlossen, sich völlig unvoreingenommen auf die schwedische Realität einzulassen. Ich gehörte zur ersten Gruppe. Im Folgenden berichte ich über meine Eindrücke, wobei ich den touristischen Teil beiseite lasse, der uns in kurzer Zeit Stockholm, die schwedischen Landschaften und nach einer wunderschönen Schiffsüberfahrt schliesslich auch die schöne Estin Tallin entdecken liess. Der Tag war uns dabei – auch des Nachts – ein ständiger Begleiter. Wichtige Einleitung: Es sei daran erinnert, dass es in Schweden kein System wie in der Schweiz gibt, das eine Existenzsicherung in Form einer Rente gewährleistet, und so den Erwerbsausfall infolge einer Behinderung kompensiert. Die Behinderung wird nicht als ein Merkmal des Menschen betrachtet, das sich aus einer physischen Schädigung oder einer Krankheit ergibt, die den Menschen arbeitsunfähig macht, sondern ausschliesslich als Beziehung zwischen der Person und seiner Umgebung. Die 260 Gemeinden in Schweden (Zusammenschlüsse von Gemeinden ähnlich den Bezirken ...

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1
Insos auf Studienreise 2006 / ein Kurzbericht
Das Hauptziel unserer kurzen, aber intensiven Reise war, uns ein Bild davon zu
machen, wie unsere nordischen Kolleginnen und Kollegen in Schweden Menschen
mit Behinderung betreuen und integrieren.
Einige von uns hatten gewisse Vorstellungen davon, nachdem sie die umfassenden
Informationen im Internet durchsucht hatten, und wollten eine Bestätigung von dem,
was sie zu verstehen meinten. Andere beschlossen, sich völlig unvoreingenommen
auf die schwedische Realität einzulassen.
Ich gehörte zur ersten Gruppe. Im Folgenden berichte ich über meine Eindrücke,
wobei ich den touristischen Teil beiseite lasse, der uns in kurzer Zeit Stockholm, die
schwedischen Landschaften und nach einer wunderschönen Schiffsüberfahrt
schliesslich auch die schöne Estin Tallin entdecken liess. Der Tag war uns dabei –
auch des Nachts – ein ständiger Begleiter.
Wichtige Einleitung:
Es sei daran erinnert, dass es in Schweden kein System wie in der Schweiz gibt, das
eine
Existenzsicherung
in
Form
einer
Rente
gewährleistet,
und
so
den
Erwerbsausfall infolge einer Behinderung kompensiert.
Die Behinderung wird nicht als ein Merkmal des Menschen betrachtet, das sich aus
einer physischen Schädigung oder einer Krankheit ergibt, die den Menschen
arbeitsunfähig macht, sondern ausschliesslich als Beziehung zwischen der Person
und seiner Umgebung.
Die 260 Gemeinden in Schweden (Zusammenschlüsse von Gemeinden ähnlich den
Bezirken in der Schweiz) kommen für die sehr grosszügige Finanzhilfe für Menschen
mit Behinderung auf. Die gesamten Kosten werden mit den allgemeinen
Steuereinnahmen finanziert.
Die Kosten dieser schwedischen Ideologie sind nicht genau erfasst. Dieses Thema
ist – wie auch das Thema Immigration – ein Tabu, was uns erneut bestätigt wurde.
Die sozialdemokratische Regierung Schwedens gibt sich die Mittel für ihre Politik und
vermeidet es, über die Rechnung zu sprechen, den meisten scheint dies aber zu
passen.
Ich berichte im Folgenden über das, was ich gesehen und gelesen habe. Ich will
nicht urteilen. Ich möchte nur meinem Bedauern Ausdruck verleihen, dass ich keinen
genauen Einblick gewinnen konnte in Bezug auf die schweren Fälle, die man zwar
ohne jeden Zweifel finanziell sehr gut unterstützt, denen aber das völlig fehlt, was
eine
Betreuung in einer Institution heute bietet, nämlich eine Form von
Sozialisierung, die meines Erachtens notwendig ist.
Der Vizepräsident Jacques Tinguely
2
Die schwedische Ideologie
Das schwedische System folgt einem Konzept, das an Perfektion grenzt und sich
folgendermassen zusammenfassen lässt:
Die Berücksichtigung von Behinderungen muss ein integrierender
Bestandteil der Politik und aller öffentlichen Aktivitäten sein.
Das politische Ziel ist sehr klar:
Menschen mit Funktionsunfähigkeiten sollen wie alle anderen leben
können.
In diesem Sinne gibt es auch kein spezifisches nationales Gesetz, das den Bereich
der Behinderung regelt, doch in jedem veröffentlichten Gesetz muss der Bereich der
Behinderung in einem oder mehreren Artikeln behandelt werden. Sie legen fest, wie
das oben erwähnte Ziel erreicht werden kann.
So findet sich in jedem Gesetz ein Artikel zum Thema Behinderung, so
beispielsweise auch im Gesetz über die Kriegsmarine.
Kurzer Überblick
Das Gesetz über das
allgemeine Recht auf Schulbildung
enthält direkte
Anordnungen in Bezug auf Kinder mit einer Behinderung. Die schwedische
Erziehungsdirektion unterbreitet Vorschläge und musste ein Dispositiv ausarbeiten,
wie die Kinder vollständig integriert werden können, unter Berücksichtigung aller
Schwierigkeiten, die diese Aufgabe nach sich zieht. Der Inhalt des Unterrichts ist
derselbe für Kinder mit und ohne Behinderung. Doch wie in der Schweiz gibt es für
gewisse Gruppen von behinderten Kindern einen auf sie zugeschnittenen
Sonderunterricht, zum Beispiel für Gehörlose, Schwerhörige, stark motorisch
Behinderte und geistig Behinderte. Der Grundsatz, wonach ein Kind so unterstützt
werden soll, dass es dem normalen Unterricht folgen kann, ist in Schweden aber
besser verankert als in der Schweiz.
Bereich Schule und Ausbildung
Das System ist ähnlich wie bei uns. Nationale Agenturen gewährleisten die
Ausbildung und betrauen spezielle Ausbildungsstätten mit dieser Aufgabe (AMU).
Bereich berufliche Wiedereingliederung, Evaluation und Orientierung
Dafür ist ein nationales Institut zuständig, dessen lokale Zentren, AMI genannt,
Menschen mit Behinderung empfangen und ihnen eine Berufsberatung anbieten.
Bereich Unterkunft
Die schwedische Strategie hat zur Schliessung von Institutionen für die Aufnahme
von Menschen mit Behinderung geführt, einschliesslich der psychiatrischen Kliniken,
die noch bis in die 1990er-Jahre bestanden. Das System vor Einführung dieser
neuen Politik war mit unserem vergleichbar. Ab 1994 bestätigten nur noch 30
Ausnahmen die Regel, und ein Vertreter des Rikstag (Parlament) erklärte damals,
das seien noch 30 zu viel. Diese Situation hatte damals dramatische Folgen. Heute
ist sie zur Regel geworden.
3
Das Recht auf Lebensraum ist sehr wichtig. Ein Mensch mit Behinderung hat ein
Recht auf eine Wohnung mit einer Küche, einem Wohnraum und einem
Schlafzimmer. Wir sahen eine Ausnahme zur Regel der ausserinstitutionellen
Wohnsituation. Um dennoch der festgelegten Strategie zu entsprechen, baute ein
Verband ein Gebäude um und konnte fünf Bewohner (höchste Zahl, die erlaubt ist)
aufnehmen, indem er 5 Wohnungen mit vollständig ausgerüsteter Küche, einem
Wohnraum und einem Schlafzimmer und im Untergeschoss einen gemeinsamen
Aufenthaltsraum zur freien Benützung sowie eine Gemeinschaftsküche einrichtete.
Bereich Arbeit
Das dafür zuständige Arbeitsamt folgt dem Leitbild, dass Menschen mit Behinderung
in die Unternehmen integriert werden sollten. Allerdings gibt es auch geschützte
Werkstätten, die vom Staat stark unterstützt werden. Eine Art von geschützten
Werkstätten sei speziell erwähnt. Sie sind für Menschen mit Arbeitsbehinderungen
gedacht (Menschen mit Behinderung, Arbeitslose, sozial benachteiligte Immigranten,
Sozialfälle). Es handelt sich um eine riesige staatliche Organisation, die SAMHALL
heisst. Ich werde später näher auf sie eingehen.
Bereich Bauten
Hier sei als Beispiel erwähnt, dass jeder Lift rollstuhlgängig sein muss, damit
niemand in seiner Wahl des Lebensraums eingeschränkt ist (Seniorinnen und
Senioren, Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder Behinderung usw.). Für
öffentliche Gebäude gelten dieselben Regeln, und die systematische Abschaffung
baulicher Hindernisse ist allgemein akzeptiert.
Zusammenfassend
könnte
man
sagen:
Der
gesellschaftliche
Schutz
ist
allumfassend und gilt für alle Bürgerinnen und Bürger. Jeder und jede kann
Hilfe und zusätzliche Massnahmen verlangen. Das Recht auf persönlichen
Beistand ist zur Regel geworden.
Mit anderen Worten:
Jeder und jede muss die Möglichkeit haben, den Alltag autonom zu
gestalten, eine Ausbildung zu machen, einer Arbeit nachzugehen
und – was besonders wichtig ist – eine eigene Wohnung zu haben.
Damit diese allgemeine Strategie auch wirklich befolgt wird, hat die Regierung ein
Amt geschaffen, dass die Umsetzung kontrolliert und koordiniert (Ombudsmann).
Dieses Amt hat zudem die Aufgabe, jegliche Diskriminierung zu bekämpfen und die
Regierung über allfällige Gesetzeslücken zu informieren. Es ist ein Gesetz über die
Diskriminierung in Vorbereitung, das sich an das britische Gesetz anlehnt.
Abschliessend zu diesem Überblick sei noch erwähnt, dass es in Schweden eine
Behindertenföderation gibt, in der die rund 50 Dachverbände zusammengeschlossen
sind, die alle vom Staat direkt und stark subventioniert werden.
4
Wirtschaftliche Integration (Berufswelt)
Finanzhilfe für öffentliche und private Unternehmen
Das schwedische Arbeitsamt zahlt den öffentlichen und privaten Unternehmen, die
Menschen mit Behinderung anstellen, Subventionen, die bis 75 % des Lohnes
betragen können. Für den Kauf von Hilfsgeräten, für bauliche Massnahmen, für die
Anstellung
von
Betreuungspersonal
(Anleitung
bei
der
Arbeit)
usw.
sind
Zusatzbeträge vorgesehen. Diese Form der öffentlichen Hilfe ermöglicht eine
staatlich finanzierte Integration in die freie Wirtschaft. Der heutige Trend bekräftigt
diese Art der Integration.
Es gibt auch eine Subventionsform für die freiberufliche Tätigkeit, was den Menschen
ermöglicht, trotz ihrer Behinderung unabhängig zu sein.
SAMHALL (eine nationale Organisation von geschützten Werkstätten)
Um das Problem der aus dem wirtschaftlichen Umfeld verdrängten Personen
anzugehen, hat der Staat eine riesige Organisation mit dem Namen SAMHALL ins
Leben gerufen. Ihre industriellen Betriebe beschäftigen etwas über 21'000
Mitarbeitende. Von unserem Besuch zweier dazugehörender Unternehmen möchte
ich Folgendes festhalten:
Allgemeines zur Funktionsweise von SAMHALL
Die Organisation besitzt 14 staatliche Unternehmen mit 24 Zweigstellen, die 800
Arbeitsplätze anbieten. Die gut ausgerüsteten Betriebe sind in ganz Schweden
verteilt und befinden sich in der Nähe industrieller Produktionszentren, damit sie als
Zulieferer Aufträge erledigen können.
Sie beschäftigt Menschen mit Behinderung, Arbeitslose, Sozialfälle, schlecht
integrierte Immigrantinnen und Immigranten usw. Wie bereits erwähnt, gibt es keine
IV-Bezüger wie in der Schweiz. Es wird kein Unterschied gemacht zwischen den
verschiedenen sozialen Gründen für eine mangelnde Integration in die so genannt
normale Gesellschaft.
Das Ziel von SAMHALL ist eine Wiedereingliederungsquote von 3 % pro Jahr
(SAMHALL spricht von 5 %). SAMHALL muss also rund 1000 Personen jährlich in
die Wirtschaft integrieren.
Als integriert gelten alle Personen, die ausserhalb SAMHALL tätig sind. Die fixe
Quote hindert aber SAMHALL nicht daran, diese Personen nach deren Integration in
externe Wirtschaftsbetriebe weiter zu coachen.
Die Besonderheit des Systems liegt in der Art der Bezahlung des Mindestlohns für
die für SAMHALL tätigen Personen. SAMHALL ist die Arbeitgeberin und zahlt dem
Mitarbeiter den Mindestlohn direkt aus (rund 86 % des entsprechenden Lohns in der
freien Marktwirtschaft). In einem nächsten Schritt bezieht SAMHALL bei der
unterstützenden Instanz für jede Person den Kompensationsbetrag. Gewisse Zahlen
besagen, dass die staatliche Unterstützung für SAMHALL in Tat und Wahrheit 93 %
5
der gesamten Betriebskosten beträgt und sich die Eigenfinanzierung lediglich auf
7 % beläuft, was mir äusserst grosszügig erscheint.
Der Betreuungsgrad ist nicht sehr hoch, entspricht aber der Qualifikation des
Personals. Er beträgt 1 zu 20. Die Tätigkeit des Betreuungspersonals ist eher mit der
Arbeit eines Werkmeisters/Werkstattleiterin vergleichbar.
Es gelten dieselben Arbeitsbedingungen wir für alle anderen Arbeitnehmenden.
Hauspflege für Schwerbehinderte
Für die am stärksten Benachteiligten gibt es seit 1994 ein spezielles nationales
Gesetz (LSS). Eine Kommission bestimmt, welche Personen die zahlreichen Rechte
in Anspruch nehmen dürfen. Dieses Gesetz sieht ein Recht auf Unterstützung, auf
eine Begleitung im Alltag sowie auf Dienstleistungen und Beratungen vor. Auf dieser
Grundlage
kann
ein
Mensch
mit
Behinderung
eine
ganze
Palette
von
Hilfsmassnahmen und zahlreiche Betreuungspersonen in Anspruch nehmen. Es
kommt häufig vor, dass ein Mensch mit Behinderung acht bis zehn Personen um sich
hat, die ihm alle Dinge erledigen, die er nicht selbständig tun kann. Soweit ich es
beurteilen
kann,
scheint
mir
aber,
dass
diese
Menschen
von
einer
Wiedereingliederung
weit
entfernt
sind,
was
Fragen
in
Bezug
auf
deren
Sozialisierung aufwirft.
Die finanzielle Hilfe und die professionelle Unterstützung werden die Kolleginnen und
Kollegen, mit denen man sich unterhalten kann, und das gemeinschaftliche Leben
mit den entsprechenden Kontakten und Konflikten – das echte Leben also – nie
ersetzen können.
Persönliche Schlussfolgerung
Alles scheint optimal konzipiert zu sein, und wenn man die Kosten der Bemühungen
um eine möglichst umfassende Integration des Menschen mit Behinderung beiseite
lässt, darf dieses Modell durchaus als nahezu ideal bezeichnet werden. Geht man
vom Prinzip aus, dass eine würdige Gesellschaft sich an ihren Anstrengungen zu
Gunsten der am stärksten Benachteiligten misst, so kann man nichts als Beifall
äussern. Wenn man aber mit Fachleuten spricht, stellt sich heraus, dass die
Sozialisierung der Menschen klar zu wünschen übrig lässt. Der Grund dafür sind
nicht die Finanzen, sondern der Wunsch nach Wohlstand oder – einfacher – nach
Wohlbefinden des Menschen mit Behinderung.
Die Schweiz ist von einem solchen Modell weit entfernt. Sie sollte sich zuvor von der
Pflicht befreien, eine vom ermittelten Erwerbsausfall abhängige Rente bezahlen zu
müssen, und eine finanzielle Unterstützung vorsehen, die den durch die Behinderung
erlittenen Verlust kompensiert, oder anders gesagt: flexible und den Bedürfnissen
angepasste
Renten
bezahlen.
So
wird
sich
alle
um
eine
bestmögliche
Wiedereingliederung bemühen, und alle werden als Gewinner hervorgehen.
Ausserdem könnte die Wirtschaft zu einem wichtigen Motor für eine möglichst rasche
Eingliederung werden.
Schweden ist ein gutes Beispiel für einen Wohlfahrtsstaat. Wären wir bereit,
die Kosten dafür zu tragen?
Jacques Tinguely: Vizepräsident
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