Die Agonie des Schmetterlings
73 pages
German, Middle High (ca.1050-1500)

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Die Agonie des Schmetterlings , livre ebook

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Description

Als die 55-jährige Helen Meier mit "Trockenwiese" debütierte, wusste niemand, dass sie schon zwischen 1955 und 1980 Texte geschrieben hatte, die in ihrer Direktheit, ihrem rebellischen Impetus und ihrer unzimperlichen weiblichen Radikalität dem ab 1984 Publizierten ebenbürtig waren.Der vorliegende Band vermittelt erstmals Zugang zur frühen Helen Meier, und die 25 kürzeren oder längeren Texte bestechen nicht nur durch die Konsequenz, mit der bereits ihr ureigenstes Thema - die Unmöglichkeit der Liebe und das unablässige Suchen danach - variiert ist, sondern auch durch die schier unerschöpfliche Vielfalt an Situationen, Schauplätzen und Konstellationen. Da ist die todessüchtige Frau, die über eine Brücke geht und sich den Absturz wie einen Orgasmus ausmalt; da ist das Paar, das in ein enges Tal hinein wandert und immer mehr in eine tödliche Sackgasse gerät; da ist die Frau, der in ihrer Vereinsamung eine luxuriöse Villa zur Hölle wird; der Maler, der seine Partnerin mit erotischen Fantasien verrückt macht; die Bäuerin, die im Spital ihr armseliges Leben Revue passieren lässt; der Arzt, der sich nach Jahrzehnten für die Treulosigkeit seiner Frau rächt; die Behinderte, die sich auf animalische Weise einem Bergbauern hingibt, oder die Schriftstellerin, die nichts so sehr hasst wie die Geschichte, die sie vorlesen soll.Was die frühen Texte den späteren gleichstellt, sind aber nicht nur Themen und Figuren, das ist vor allem Helen Meiers unverwechselbar eigene Sprache, die dem Erzählten Authentizität, Kraft und Eindringlichkeit schenkt.

Sujets

Informations

Publié par
Date de parution 30 novembre 2015
Nombre de lectures 1
EAN13 9783905795479
Langue German, Middle High (ca.1050-1500)

Informations légales : prix de location à la page 0,0720€. Cette information est donnée uniquement à titre indicatif conformément à la législation en vigueur.

Extrait

Helen Meier Die Agonie des Schmetterlings
Die Herstellung dieses Buches wurde unterstützt durch:
SMKK-Stiftung Susanne und Martin Knechtli-Kradolfer

Diesen drei Institutionen sei an dieser Stelle herzlich gedankt.
Die Texte dieses Bandes wurden in enger Zusammenarbeit mit der Autorin von Charles Linsmayer aus dem bisher unveröffentlichten Werk von Helen Meier ausgewählt und redigiert.
1. Auflage
Alle Rechte vorbehalten
© Xanthippe Verlag, Zürich 2015
Korrektorat: Thomas Basler
Umschlag, Gestaltung & Satz:
Isabel Thalmann, buchundgrafik.ch
eBook: mbassador GmbH, Luzern
ISBN 978-3-905795-46-2
eISBN 978-3-905795-47-9
Helen Meier Die Agonie des Schmetterlings
Böse Geschichten
 
Unveröffentlichte frühe Texte
Xanthippe
Inhalt
Zufriedenheit
Tälchen
Schlimme Zeiten
Rabenmutter
Fronleichnam
Fussweg
Die Abstimmung
Mahlzeit
Bruch
Haus am Sonnabend
Klugheit
Vierter Gang
Stichwort Liebe
Die Agonie des Schmetterlings
Zwei Stunden im Spital
Schritte
Hausgeschichte
Mai
Bild
Übertragung
Freske
Am Nachmittag
Der Besuch
Der Maskenball
Operette

Über mein Schreiben
Zufriedenheit
Als sie auf der Brücke war, begannen ihre Beine zu zittern. Sie klopfte mit den Bergschuhen auf den Asphalt des schmalen Gehsteigs – sie hätte nur den Arm auszustrecken brauchen, um das Geländer zu berühren. Sie durfte nichts anderes tun, als fest mit den Schuhen vorwärtszugehen und auf die Leitplanke zu starren. Sie hörte die Geräusche der rasenden Autopneus neben ihr wie durch Wachs, sie wagte den Kopf nicht zu drehen. Ihre ganze Kraft musste auf das Aufklopfen der Schuhe, auf stetes Einhalten der geraden Marschrichtung gezwungen werden. Wenn sie zu rennen anfing – dumpf wusste sie es, wusste es ihr kleines Bewusstsein, zusammengedrängt, umlagert von einem riesigen bedrohlichen Etwas –, geschah Schreckliches. Sie stürzte sich in die Schlucht hinunter, wunderbar musste es sein hinabzufallen, durch den schmalen Spalt auf den Grund, an das äusserste Ende, mit einem Schrei – ein Orgasmus musste es sein, intensiver als je, ein einziger Zusammenstoss aller Wünsche, die Stillung, der Durchbruch durch die Wand des Schweigens, die Erlösung, die Ausbreitung in der Glückseligkeit. Sie stürzte auf die Strasse hinaus, unter die Räder, ausgewalzt zu werden, nach dem blitzartigen Einschlag des Gesuchten fixiert zu werden im Lächeln des Wissens, aus den Königsgräbern die goldgeschnittenen Gesichter. Sie zitterte. Nass und kalt sammelte sich der Schweiss in der Rinne der Wirbel. Vergessene Gebetsfetzen aus der Kinderzeit, ein Vater im Himmel, dessen Reich komme, wirbelten ihr ins Gehirn, ihr wiederholtes Murmeln beruhigte sie ein wenig, es gelang ihr, nicht aus dem Marschtakt zu fallen, die Stechschritte gleichmässig fortzusetzen, nicht anzuhalten, vor allem nicht anzuhalten. Wenn sie aufhörte zu marschieren, konnte es hereinbrechen. Die gleichmässige Fortbewegung der Beine, das Starren auf das Asphaltband war das Seil entlang der schwarzen Wand. In der Ferne sah sie die Kurve der Strasse, die das Ende der Brücke war, dort musste sie hin, das war ihre einzige Aufgabe, nichts anderes hatte sie zu tun. Plötzlich war sie erstaunt, die Geräusche der Autos nicht mehr zu hören, sie wagte einen kleinen Seitenblick und erschrak. Sie war nun ganz allein auf der Brücke, alle Menschen waren verschwunden, sie war die Letzte auf der Welt, mit Mühe unterdrückte sie einen Schrei. Aus der Schlucht herauf wehte es sie kalt an, das war der Urwind. Sie wankte ein wenig, es gelang ihr, den gleichmässigen harten Schritt aufrechtzuerhalten. Die Welt war ein einziges versteintes Ungeheuer, eine mitleidlose Betonmasse, Tränen drangen in ihre zugekniffnen Augen. Wenn sie anhielt, wollte sie sich sofort niederwerfen, sich am Geländer festklammern, sie durfte nur nicht loslassen, nur nicht loslassen durfte sie, vielleicht wurde sie gefunden, nach langer Zeit, ein verstaubtes klammes Bündel über dem Abgrund. Der Fahrtwind eines Lastwagens streifte sie lau, sie merkte, dass sie nicht aufgehört hatte vorwärtszugehen, ihre Beine, unbestechliche Empfänger einstigen Befehls, waren am Marschieren. Sie richtete ihren Blick auf das Ende der Brücke, auf das Ende der Brücke heftete sie ihren Blick. Langsam kam es näher, immer näher, und als die Brücke hinter ihr lag, ging sie ganz langsam. Nach einer Weile, in der sie nichts gefühlt hatte als das Ende der Brücke, merkte sie die Veränderung in ihren Beinen. Sie machte einen kleinen Hüpfer und spürte den Durst, den sie hatte. Sie setzte sich am Rand des Gehölzes nieder, die trockene Sonne war sehr angenehm. Als sie den Rucksack aufnestelte, zitterte ihre Hand noch einmal, dann war sie ganz ruhig. In ihrem Munde zerging die Schokolade, Wärme lag auf ihren Armen, sie schloss die Augen, das Gefühl der Zufriedenheit hätte sie beinahe einschlafen lassen.
Tälchen
Hören Sie denn nicht, wie es rauscht, rauscht, rauscht, rauschend zieht es vorbei, nicht zu fassen, nicht darzustellen, es ist zu schnell, steht keinen Augenblick still, damit es zu betrachten sei, es rauscht, rauscht, rauscht, manchmal spritzt uns ein kleiner Spritzer entgegen, ich kann ihn abwischen, wenn ich Glück habe, die Feuchtigkeit klebt eine Weile an meiner Hand, mit der ich übers Gesicht fahre, schnell, schnell, ich rieche die Feuchtigkeit, lecke daran, sonst ist sie verdunstet, weg. Also wir zwei, wir zwei sind da auf der Landstrasse gewandert, das schwangere Mädchen und ich, langsam, sie kann nicht mehr schnell gehen, ulkig muss das ja sein, so etwas im Bauch wachsen zu fühlen, ohnmächtig, etwas, was nie mehr loszubringen sein wird, nie mehr; wenn sie es inwendig losgekriegt, hängt es ihr aussen an, klebriger Säugling, tapsender schenkelgreifender kleiner Affe, später Jüngling, Mann, ewig nach der Mutter greifend, wenn nicht laut, so im Geheimen; also man denkt ja schon nicht daran, wenn man, rasend und blind, so einem Wesen die Beine auseinanderdrückt. Wir gehen langsam, über uns ein Himmel, ich betrachte ihn selten, den Himmel, bei einem Typ wie mir geht sonst genug im Kopf herum, ich hab genug zu tun, auf die Strasse zu schauen, doch dieser da drängt sich einem förmlich auf, gewollt oder ungewollt, wie sexuelle Phantasien, vielleicht auch nur, weil es sonst nichts Bemerkenswertes in dem Tälchen zu sehen gibt, ein Tälchen wie eine grüne Mausefalle, links und rechts kleine Hügel, waldbedeckt, in der Mitte die geteerte Strasse, neuerbaut vom Militär, das am Ende des Tales, dort, wo die Falle zuklappt, unterirdische Waffenlager baut, auch Lebensmittel sollen in Stollen gelagert werden; ob jemand noch Lebensmittel braucht, wenn es geknallt hat, ist diesen Idioten gleichgültig, also dieser Himmel mit geheimer Absicht, natürlich nicht unbefleckt, sonnige Himmel interessieren niemanden, mit Vorder- und Hintergrund voll von Seltsamkeiten, Wolkengebilden, Drachen, Dämonen, schwärzlichen, grauen, weissen, mit blauen gutmütigen Gestaden, an denen sich diese Gebilde tummeln, angestrahlt von einem Hintergrundlicht, das sie düster zu uns herunterwerfen, und natürlich weht ein Wind, ohne Wind ist ja nichts bemerkenswert, ins Haar greifend, sich still haltend, in den Wald zurückhuschend, wiederkommend, dem Mädchen den Bauch modellierend.
Wir zwei sind auf der Strasse gewandert, sie mit dem Hühnchenschritt der Schwangeren, von meinem Schritt ist nichts zu sagen, ich bin schon viel gelaufen, das Mädchen wird in der Kantine arbeiten, sie kochen dort für sechzig Männer, rauhe Männer, wilde, lärmige, Pioniere, Baumänner, Stollenmänner, mit Dreck an den Stiefeln, Stollenstaub an den Hoden, Schweissbächen im Brustgestrüpp, Männer, die das Fressen unter den Tisch schmeissen, gekochte Kartoffeln, die sie nicht mögen, das Mädchen wird dort arbeiten, gemüserüstend auf einem Hocker sitzen, wann immer es kann, um die Beine zu schonen, eigentlich ein hässliches Ding mit dem schiefen Kopf, den schwarzen Haaren, dem scheuen Lächeln, das hervorschiesst wie junge Natter. Dann wieder denk ich, es ist das schönste Ding auf Erden, mit dem harten Bauch, den Schwabbelbrüsten, den violetten Warzen und den starken weissen Zähnen, denen ich noch allerhand beibringen möchte. In der Kantinenküche hat es begonnen. Eine alte Frauensperson hat Rüben geschält, noch Jungfrau, so etwas schmeckt ein Typ wie ich gegen den Wind, eine bleiche, spröde, mit Fleisch auf schiefer Ebene, Unterhaut am Austrocknen, vorne Knochengestell, hinten grauweisses Fett, sagt, dass sie weggehe, weil sie heirate, wahrscheinlich kann sie kochen, die Szene im Bett deckt gnädig die Nacht zu, junge Leute wie wir können sich das nicht mal mit Gewalt vorstellen. Also wie wir zwei, das Mädchen und ich, auf der Landstrasse gehen und wir Leibgefühl haben, Bauchgefühl, Ohrengefühl, im Mausefallentälchen mit dem Waffenlager, den hübschen Wäldchen und dem plastischen Himmelslicht, dem düstern, kurz vor dem Regen ist man ja besonders gespannt, da geschieht es, aus ihren Augen springt es mir entgegen, ich, die alte Schachtel erwähnend, die sich in Bälde verheiratet, von jenem Etwas fühl ich einen Spritzer auf dem Gesicht, aus ihren Augen kommend, etwas, was ich abzuwischen versuche, aufzulecken, auszudrücken, was ich nicht zu benennen weiss und das doch, wenn man es könnte, den Anfang erklären würde, das Rauschen, das Rauschende, Dahinziehende, dass ich es nicht mehr hören müsste und ich auf das Mädchen aufpassen sollte, ich mir endlich das Mädchen anschauen könnte, von oben bis unten, in aller Ruhe.
Schlimme Zeiten
Nun ja, jedermann hat schon schlimme Zeiten erlebt, Zeiten, die man gemeinhin als Hölle bezeichnet; so wie jedermann seinen Himmel kennt, so erfährt wohl jeder seine ihm eigene Hölle, die meine war eine Woche Abgeschiedenheit, eine Woche Alleinsein in einer Villa, es war ein sehr schönes Haus mit Garten, Hallen und vielen Zimmern, möbliert im Stile von 1970, unten in der Gartenhalle war ein Schwimmbad, jeder Komfort scheint in der Hölle vorhanden zu sein, Kühlschränke voll guten Essens,

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