48 the unknown heart - Die zeitlose Romansammlung von Barbara Cartland , livre ebook

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Die reiche Amerikanerin Virginia, dick und von ihrer Mutter dominiert, wird gezwungen, den verarmten Erben eines englischen Herzogtums zu heiraten. Noch an ihrem Hochzeitstag bricht sie unter der groβen Last zusammen, und braucht ein Jahr um sich bei ihrer Tante zu erholen – und schafft es, schlank und schön aus dem Leid hervorzugehen. In der Hoffnung, sich von ihrem verachteten Ehemann, den sie kaum kennt, scheiden zu lassen, reist sie inkognito nach England – nur um festzustellen, daβ auch er nicht derjenige ist, für den sie ihn hält. Barbara Cartland wurde 1901 geboren und stammt mütterlicherseits aus einem alten englischen Adelsgeschlecht. Nach dem Tod des Vaters und Großvaters ernährte ihre Mutter die Familie allein. Sie war zweimal verheiratet und hatte drei Kinder. Ihre Tochter Raine war die Stiefmutter von Prinzessin Diana von Wales. Sie schrieb über 700 Romane, die ein Millionenpublikum ansprechen. Barbara Cartland starb im Jahr 2000.
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Date de parution

14 février 2016

Nombre de lectures

0

EAN13

9781782139003

Langue

Deutsch

HEIMLICHE LIEBE
Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2016
Copyright Cartland Promotions 1985
Gestaltung M-Y Books
www.m-ybooks.co.uk
Heimliche Liebe
„Ich will ihn nicht heiraten, Mama.“ „Virginia, du wirst tun, was man dir sagt“, kam die scharfe Antwort. Mrs. Clay erhob sich aus ihrem Sessel und ging erregt in dem großen, überladenen Salon auf und ab. „Weißt du überhaupt, was du da ausschlagen willst, Mädchen?“ fragte sie. „Du weigerst dich, einen Engländer zu heiraten, der in absehbarer Zeit Herzog wird. Herzog! Hörst du? Es gibt nicht mehr viel von der Sorte. De r Tag, an dem du die Kirche als zukünftige Herzogin verläßt, wird der glücklichste in meinem Leben. Das dürfte dann Mrs. Astor lehren, mich über die Schulter anzusehen.“ „Aber Mama, er kennt mich doch nicht einmal“, wandte Virginia ein. „Was hat das damit zu tun?“ wollte Mrs. Clay wissen. „Wenn wir auch das Jahr 1902 zählen, so hat sich eines doch nicht geändert. Sowo hl in Europa wie auch hier werden Ehen von den Eltern der Braut und des Bräutigams be schlossen. Das ist eine sehr vernünftige Methode, die sich für beide Teile als ausgesprochen erfolgreich erwiesen hat.“ „Du weißt so gut wie ich, daß dieser Mann ...“ „Der Marquis von Camberford“, unterbrach Mrs. Clay sie tadelnd. „Also gut, der Marquis“, fuhr Virginia fort, „mich nur um meines Geldes willen heiratet. Das ist alles, was ihn interessiert.“ „Meine liebe Virginia, erspare mir dieses lächerliche Geschwätz. Die Herzogin ist eine alte Freundin von mir. Dein Vater und ich haben sie vor ungefähr zehn Jahren auf unserer Europareise kennengelernt, und sie war so liebenswürdig, uns zu einem Ball auf ihr Schloß zu bitten.“ „Und dann mußtest du Eintritt bezahlen“, warf Virginia dazwischen. „Darum geht es nicht“, rief Mrs. Clay erregt aus. „ Es handelte sich um einen Wohltätigkeitsball, und ich habe nie etwas anderes behauptet. Ich blieb mit der Herzogin in Verbindung und konnte ihr bei der Verwirklichung einiger ihrer Lieblingsprojekte behilflich sein, wofür sie mir sehr dankbar war.“ „Du meinst, daß sie dein Geld gern entgegennahm“, sagte Virginia ruhig. Mrs. Clay tat, als hätte sie ihre Worte nicht gehört. „Wir setzten unseren Briefwechsel fort“, erzählte s ie weiter. „Ich sandte ihr regelmäßig zu Weihnachten Geschenke, für die sie sich überschwenglich bedankte. Eines Tages erkundigte sie sich nach dir und ob du nicht schon im heiratsfähigen Alter wärst. Endlich erbrachten die Tausende von Dollars, die ic h Jahr für Jahr ausgegeben habe, Dividende.“ „Ich habe nicht das geringste Verlangen danach, als Dividende betrachtet zu werden, Mama. Mag die Herzogin auch noch so charmant sein, ihren Sohn kennst du doch gar nicht.“ „Ich habe Bilder von ihm gesehen, und er sieht sehr gut aus, das kannst du mir glauben. Er ist kein Milchbart mehr, sondern ein Ma nn von achtundzwanzig Jahren. Um so besser kann er sich um das Vermögen kümmern, das dein Vater unbegreiflicherweise dir hinterlassen hat, obwohl es rechtmäßig bis zu deiner Eheschließung mir zustünde.“ „Ach Mutter, müssen wir schon wieder darüber diskut ieren? Du bist doch reich, schrecklich reich sogar. Die Tatsache, daß Vater un s sein Vermögen zu gleichen Teilen vermacht hat, kann dir doch nichts ausmachen. Du ka nnst gern alles haben, was mir gehört. Dann wirst du im Übrigen sehen, ob der Marquis noch Interesse für mich zeigt.“ „Virginia, du bist wirklich ein undankbares Geschöpf“, rief ihre Mutter. „Dir wird eine Gelegenheit geboten, von der jedes Mädchen nur träumen kann. Alle deine Freundinnen werden vor Neid erblassen, wenn sie von deinem Glück hören. Stell dir vor, du wirst in den Buckingham-Palast eingeladen und mit dem König und der Königin dinieren. Und dabei trägst du eine Krone auf dem Kopf.“ „Eine Tiara“, verbesserte Virginia.
„Meinetwegen, nenne es wie du willst. Jedenfalls werde ich dafür sorgen, daß du bei deiner Hochzeit die größte und schönste trägst, die ich auftreiben kann. Ist dir eigentlich klar, welchen Wirbel die Zeitungen um deine Hochzeit machen werden?“ „Ich will nicht einen Mann heiraten, den ich nicht kenne“, sagte Virginia beharrlich. „Du wirst genau das tun, was man dir sagt“, erwider te ihre Mutter ärgerlich. „Mrs. Rosenburg soll damals ihre Tochter mit der Peitsche bedroht haben, weil sie den Herzog von Melchester nicht heiraten wollte. Aber wie immer sie es angestellt hat, der Erfolg gab ihr recht. Wenn Pauline auch die erste amerikanisch e Herzogin in der englischen Gesellschaft ist, so gibt es Raum genug für eine zweite, nämlich dich.“ „Ich habe nicht den geringsten derartigen Wunsch, Mama. Kannst du das eigentlich nicht verstehen? Außerdem haben sich die Zeiten geändert.“  „Inwiefern?“ fragte Mrs. Clay scharf. „Heutzutage kommen höchstens mehr Engländer nach Amerika und mehr reiche amerikanische Familien reisen nach Europa als früher. Vor wenigen Tagen erzählte dein Onkel noch, daß neue Dampfer gebaut werden sollen, die alle diese Menschen über den Atlantik b ringen. Im Jahr 1907 dürften wir vermutlich einen Höhepunkt im Schiffsbau erleben.“ „Und wenn wir dabei Geld investieren, werden wir noch mehr Dollar machen, als wir schon haben. Wofür eigentlich?“ fragte Virginia. Mrs. Clay machte eine ungeduldige Handbewegung. „Du solltest wirklich aufhören, in so verächtlicher Weise über Geld zu sprechen, sondern dankbar sein, daß du es in so reichem Maße besitzt.“ „Das bin ich nicht, wenn ich dadurch gezwungen bin, einen Mann zu heiraten, den ich nicht kenne und der einzig und allein an meiner Mitgift interessiert ist.“ „Ganz so ist es nicht“, versuchte Mrs. Clay ihre Tochter zu beruhigen. „Ich habe dir doch erzählt, daß die Herzogin und ich langjährige Freundinnen sind. In ihrem Brief schrieb sie, daß sie eine Verbindung zwischen ihrem Sohn und meiner Tochter als reizende Besiegelung dieser Freundschaft empfände.“ „Wieviel mußt du für das Privileg bezahlen, daß ich in die englische Aristokratie einheiraten darf?“ wollte Virginia wissen. „Diese Frage werde ich nicht beantworten. Eine dera rtige Bemerkung klingt von den Lippen eines jungen Mädchens ausgesprochen vulgär. Du kannst die geschäftlichen Arrangements unbesorgt deinem Onkel und mir überlassen.“ „Ich möchte den Preis wissen“, sagte Virginia beharrlich. „Von mir erfährst du ihn nicht“, fuhr ihre Mutter sie an. „Es ist also so, wie ich dachte“, sagte Virginia. „Die Herzogin verlangt eine bestimmte Summe und gibt sich nicht nur mit meinem Vermögen z ufrieden, das mein zukünftiger Mann verwalten will. Wieviel will sie haben?“ „Ich habe dir bereits gesagt, daß dich das nichts angeht“, erwiderte Mrs. Clay. „Wie kannst du das behaupten“, protestierte Virginia. „Schließlich bin ich doch das Opfer, das auf dem Altar eurer Eitelkeit dargebracht werden soll.“  „Derartige sarkastische Bemerkungen dürften dich i n der englischen Gesellschaft nicht gerade beliebt machen“, warnte Mrs. Clay. „Wa rum habe ich keine nette, brave und folgsame Tochter wie dieses Belmont-Mädchen, das dich ab und zu besucht.“ „Sie kommt auf deine Einladung hin“, bemerkte Virgi nia. „Meine Freundin ist sie wirklich nicht. Wenn jemand geistig etwas minderbem ittelt ist, dann Bella Belmont.“ „Na wenn schon. Jedenfalls ist sie hübsch und gut e rzogen“, erwiderte ihre Mutter. „Mehr würde ich von meiner Tochter gar nicht verlangen.“ „Und da hast du ausgerechnet mich!“ „Ja, ich habe dich“, wiederholte Mrs. Clay. „Und du , meine liebe Virginia, wirst den Marquis von Camberford heiraten, und wenn ich dich an den Haaren vor den Altar schleifen muß. Und damit sollten wir diese Diskussion beenden und anfangen, uns mit deiner Aussteuer zu beschäftigen. Wir haben nicht v iel Zeit, da der Bräutigam in drei Wochen eintreffen wird.“
„Dann wollen wir warten, bis er da ist, Mama. Ich w erde dir meine Entscheidung mitteilen, wenn ich ihn kennengelernt habe.“ „Das ist nicht der springende Punkt“, sagte Mrs. Clay ein bißchen unbehaglich. „Wie meinst du das?“ „Der Marquis ist sehr in Eile. Er trifft am 29. April hier ein, und am nächsten Tag soll die Hochzeit stattfinden.“ Virginia stieß einen ungläubigen Schrei aus. „Bist du verrückt geworden, Mama? Ich werde diesen Glücksjäger am 30. April genauso wenig heiraten, wie ich zum Mond fliege. Wie kannst du mir so etwas zumuten?“ Als sich die in die Enge getriebene Mrs. Clay jetzt zu ihrer Tochter umwandte, sah sie, wie das Mädchen mit einem leisen Stöhnen in einen S essel sank und die Hand vor die Augen legte. „Was ist los, Virginia? Hast du wieder Kopfschmerzen?“ „Ich fühle mich elend. Die Arznei, die mir der neue Arzt verschrieben hat, scheint mir nicht zu bekommen.“ „Er hält dich für blutarm und möchte deine Kräfte n eu aufbauen“, sagte Mrs. Clay. „Hast du wenigstens um elf Uhr dein Glas Wein getrunken?“ „Ich habe es versucht, aber es ging nicht.“ „Aber du weißt doch, daß Rotwein die roten Blutkörp erchen vermehrt. Wie wäre es mit einem Glas Sherry vor dem Mittagessen?“ „Nein, ich will nicht“, protestierte Virginia. „Mit meinen Kopfschmerzen fühle ich mich außerstande, eine Mahlzeit zu mir zu nehmen.“ „Du mußt vernünftig essen“, sagte Mrs. Clay bestimm t. „Der Küchenchef hat die Eclairs gemacht, die du so gern ißt, und zum Tee gibt es Buttercremetörtchen.“ „Ich will nicht, Mama, mir wird nur schlecht davon.“ Virginia weinte fast. „Wir müssen etwas für deine rosigen Wangen tun, bevor der Marquis kommt.“ Ihre Tochter seufzte.  „Hör zu, Mama, wir wollen uns nicht die nächsten drei Wochen streiten. Ich heirate diesen Engländer auf keinen Fall, mag er nun Herzog werden oder nicht. Schließlich kannst du mich nicht dazu zwingen.“ Gespanntes Schweigen herrschte zwischen den zwei Frauen, das nach geraumer Zeit von Mrs. Clay unterbrochen wurde: „Wie du meinst, V irginia. Wenn dem so ist, habe ich andere Pläne mit dir.“ „Hast du das wirklich?“ fragte Virginia spürbar erl eichtert. „Ach, Mama, warum quälst du mich dann so? Du weißt doch, daß ich nicht heiraten möchte.“ „Wenn du dich meinen Wünschen nicht fügst“, fuhr Mr s. Clay fort, „dann betrachte ich dich nicht länger als meine Tochter und schicke dich zu Tante Louise.“ Virginia glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. „Aber Tante Louise ist Nonne und leitet eine Besserungsanstalt.“ „So ist es“, bestätigte ihre Mutter. „Und dort wirs t du bis zu deinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr bleiben. Immerhin dür fte dir nicht entgangen sein, daß dein Vater mich zu deinem Vormund bestimmt hat, auc h wenn du die Hälfte seines Vermögens geerbt hast.“ „Aber Mama, das kannst du mir doch nicht antun“, rief das Mädchen verzweifelt. „Wer sollte mich daran hindern? Du bist noch ein Kind, und vermutlich habe ich dich von frühester Jugend an viel zu sehr verzogen. Entw eder du willigst in diese brillante Heirat ein, oder du fährst zu deiner Tante. Das ist mein letztes Wort.“ „Ich kann es einfach nicht glauben“, sagte Virginia leise. „Du wirst schon sehen. Vielleicht denkst du, daß ic h mein Wort nicht halte, weil ich dich bisher immer verwöhnt habe. Andererseits solltest du eines wissen: wenn ich mir einmal etwas in den Kopf gesetzt habe, bekomme ich es gewöhnlich auch. Während all der Jahre, in denen ich deinen Vater solange antrieb, b is er endlich Millionär war, habe ich
etwas gelernt. Ein Mensch mit einem starken Willen kann auf dieser Welt alles erreichen. Du hast mein Ultimatum gehört, Virginia. Ich warne dich. Ich werde nicht zögern, meine Drohung wahrzumachen.“ Virginia schlug die Hände vor das Gesicht. „Und wie lautet deine Antwort?“ fragte Mrs. Clay nach einiger Zeit mit harter Stimme. Das Mädchen blickte ihre Mutter entsetzt an. „Ich kann es einfach nicht glauben, Mama.“ „Wenn du älter bist, wirst du mir dankbar sein“, versicherte Mrs. Clay. „Gibst du mir nun dein Wort, daß du den Marquis sofort nach seiner Ankunft heiraten und ihm als seine Frau nach Europa folgen wirst?“ „Ich kann es nicht, Mama. Wie kann ich mich an einen Mann binden, den ich noch nie gesehen habe und der mich nur um meiner Mitgift willen begehrt? Natürlich will ich eines Tages heiraten, aber nur jemand, der mich liebt und den auch ich liebe.“ Mrs. Clay warf den Kopf zurück und lachte spöttisch. „Jemand, der dich liebt“, wiederholte sie. „Hältst du das wirklich für möglich? Bist du tatsächlich so verbohrt, daß du annimmst, irgendein Mann würde dich um deiner selbst willen heiraten? Komm doch einmal her.“ Sie packte ihre Tochter am Arm und zog sie vor einen großen Spiegel. „Schau dich an“, sagte sie grausam. „Und dann nenne mir einen einzigen Mann, der dich nicht nur heiratet, weil du reich bist.“ Virginia gehorchte und blickte wie hypnotisiert in den Spiegel, in dem ihre schlanke Mutter in einem eleganten Kleid und Juwelen um Hals und Handgelenk zu sehen war. Eine schöne Frau, die überall Aufsehen erregte. Daneben sah sie sich selbst. Klein und so dick, daß sie schon grotesk wirkte. Ihre Augen lage n zwischen rosigen Speckfalten versteckt, ihre Wangen wölbten sich und das Doppelkinn reichte bis zum Hals. Der dünne Stoff der Ärmel an ihrem Kleid umspannte fest die p rallen Arme. Die Finger waren rot und wurstähnlich. Die Taille fehlte völlig. Ihr Haar hatte eine so undefinierbare Farbe, daß die modische Frisur völlig überflüssig war. Sie starrte und starrte, bis sie ihre Mutter fast a ngewidert sagen hörte: „Verstehst du jetzt, was ich meine?“ Virginia bedeckte ihre Augen mit der Hand.  „Ich weiß doch, wie schrecklich ich aussehe“, sagt e sie gebrochen. „Die Ärzte versprechen ständig, daß ich eines Tages schlanker werde, und täglich fühle ich mich elender.“ „Die können viel versprechen“, rief Mrs. Clay wütend aus. „Ich weiß schon gar nicht mehr, wieviel tausend Dollar ich in den letzten fünf Jahren für diese Herren ausgegeben habe, und wie man sieht, ohne jeden Erfolg.“ Virginia wandte sich ab und sagte hoffnungsvoll: „Vielleicht weigert er sich, mich zu heiraten, wenn er mich zu Gesicht bekommt.“ „Keine Sorge, das wird er nicht.“ „Was macht dich so sicher?“ „Weil die Herzogin das Geld verzweifelt notwendig braucht, sonst hätte sie mir nicht geschrieben.“ „Wieviel bezahlst du ihr?“ wollte Virginia wissen. „Zwei Millionen Dollar“, sagte Mrs. Clay langsam un d betont. „Wenn du das in englische Währung umrechnest, sind das über vierhunderttausend Pfund.“ Virginia sank mit leisem Stöhnen auf das Sofa. „Schluß jetzt mit deinen hysterischen Ausbrüchen“, rief ihre Mutter. „Du wirst am 30. April heiraten. Wenn nicht, schicke ich dich zu Tante Louise und teile den Leuten mit, daß sich meine Tochter aus gesundheitlichen Gründen für die nächsten Jahre in ein Kloster zurückgezogen hat. Dort hast du dann genug Zeit, üb er die Vorzüge eines Lebens als englische Herzogin nachzudenken.“ Vom Sofa her kam keine Antwort. Virginia lag, den K opf in den Seidenkissen
verborgen, und schluchzte vor sich hin. Während der folgenden Tage nahm Virginia kaum wahr, was um sie herum vor sich ging. Der Schock über die erzwungene Heirat schien ihr das letzte bißchen Kraft entzogen zu haben. Der Arzt kam täglich, und fast genauso oft wurde ihre Diät geändert. Man zwang ihr alle Arten von nahrhaften Gerichten auf, und die au sgefallensten Delikatessen wurden herbeigeschafft. Gegen ihre Anämie mußte sie Ochsen blut trinken. Frische Milch von Jerseykühen kam direkt von der Clayschen Farm und Gemüse und Obst vom Landsitz der Clays in Virginia. Champagner aus Frankreich, Sherr y aus Spanien, Kaviar aus Rußland, Gänseleberpastete aus Straßburg war nur einiges von dem, was sie täglich zu sich nahm. Manchmal hatte sie das Gefühl, sich wie in Trance zu bewegen. Was immer sie tat und sagte, schien unwirklich zu sein. Stundenlang probierte sie ihre neuen Kleider an und war dann so müde, daß sie förmlich ins Bett fiel. Allei n in ihrem Schlafzimmer suchte sie verzweifelt nach einem Ausweg, doch sie fand keinen . Manchmal hatte sie das Gefühl, Stimmen zu hören, die pausenlos auf sie einhämmerten: „Du bist fett und häßlich! Fett und dumm! Er heiratet dich um deines Geldes willen!“ Eines Tages sprach ihre Mutter sie an: „Du benimmst dich wie eine Drogensüchtige, Virginia. Ich muß mit dem Arzt sprechen. Ich werde nicht erlauben, daß du Narkotika nimmst.“ Dabei wußte Virginia, daß ihre geistige Abwesenheit nicht von den Medikamenten herrühren konnte, da sie diese zum größten Teil weg schüttete. Irgendetwas in ihrem Inneren versuchte sich der Realität zu entziehen. „Der Marquis wird morgen eintreffen!“ Bei dieser Ankündigung ihrer Mutter empfand sie nic hts, nicht einmal Neugier. Sie hatte es längst aufgegeben, sich über sein Aussehen Gedanken zu machen, sie fühlte sich zu schlaff und krank dazu. Mrs. Clay hatte am Ankunftsabend des Marquis zu ein em pompösen Empfang geladen. Hinter dem Haus wurde ein Zelt errichtet, und tagelang bauten Arbeiter den Boden auf. Überall wurden exotische Blumengestecke verteilt und die Kostbarkeiten der Clays zur Schau gestellt. Mrs. Clay war in ihrem Element, während sie nach allen Seiten Anweisungen erteilte. Die Hochzeit sollte in dem für diese Gelegenheit mi t hunderten von weißen Orchideen geschmückten Ballsaal stattfinden. Der Empfang am Abend zuvor sollte eine heitere Note haben, für die Mrs. Clay Rosa als die richtige Farb e erachtete. Virginia würde ein mit Rosenknospen geschmücktes rosa Tüllkleid tragen, da zu einen Kranz aus Rosenknospen im Haar. Noch lange sprachen die Leute von dem zu Ehren des Marquis gegebenen Empfang als von einem Höhepunkt des New Yorker Gesellschaftslebens. Unglücklicherweise konnte der Ehrengast selbst dieser Veranstaltung nicht bei wohnen. Sein Schiff war durch unerwartet rauhe See im Atlantik aufgehalten worden und legte erst um vier Uhr morgens an. Als er sein Hotel erreichte, war der Empfang längst vorüber. Virginia hatte man um ein Uhr ins Bett geschickt, d amit sie für die Hochzeitszeremonie am nächsten Tag frisch sei. Sie konnte sich des unbestimmten Gefühls nicht erwehren, daß ihre Mutter insgeheim erleichtert war, daß der Marquis sie vorher nicht zu Gesicht bekommen hatte. Trotz ihrer Apathie war ihr nicht entgangen, daß ihre Mutter jetzt, wo der Tag der Begegnung immer n äher heranrückte, ein wenig ängstlich und nervös wurde. Sicher machte sie sich Gedanken darüber, was der Marquis von seiner Braut halten mochte. Als Virginia allein in ihrem Zimmer war, zerrte sie den Rosenknospenkranz vom Kopf und betrachtete ihr Spiegelbild. Während der letzte n Wochen schien sie noch dicker geworden zu sein. Das Fleisch um ihre Augen war so geschwollen, daß diese fast nicht mehr zu erkennen waren. Sie riß sich das Kleid vom Leibe und fühlte sich sofort erleichtert. Das Taillenband war viel zu eng gewesen.
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