Gesegnet sei das Zeitliche
186 pages
German, Middle High (ca.1050-1500)

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Gesegnet sei das Zeitliche , livre ebook

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Description

Ruhe in Frieden? Wie befördert man einen Kerl ins Jenseits, wenn man selber bereits dort ist? Diese Frage muss sich Coiffeur Nik stellen, nachdem ein Maskierter ihn die Treppe hinuntergeschubst hat. Er ist nach seinem Tod nicht wie erwartet in den Himmel aufgestiegen, sondern geistert als unsichtbares Phantom weiterhin in seinem Heimatdorf Birkweil herum. Er weiss auch ganz genau, wer ihn auf dem Gewissen hat: Der Freund seiner Tochter Sonja. Nik will mit ihr in Kontakt treten. Er findet einen Weg, sich im Diesseits bemerkbar zu machen, richtet dabei aber ein heilloses Durcheinander an und gerät vom Regen in die Traufe. Gesegnet sei das Zeitliche ist eine freche Nahtodkomödie, die unterhält, und zum Denken provoziert. Der Humor ist schwarz, die Menschenliebe aber in jeder Zeile spürbar.

Sujets

Informations

Publié par
Date de parution 28 septembre 2017
Nombre de lectures 0
EAN13 9783037841426
Langue German, Middle High (ca.1050-1500)

Informations légales : prix de location à la page 0,0650€. Cette information est donnée uniquement à titre indicatif conformément à la législation en vigueur.

Extrait

Willi Näf


Die endgültige Schweizer Nahtodkomödie


Unterstützt durch die Kulturförderung Appenzell Ausserrhoden
© 2017, Schwabe AG, Verlag Johannes Petri, Basel
Lektorat: Satu Binggeli
Umschlaggestaltung: Stephanie Kübler
Umschlagbild: Silvan Wegmann (SWEN)
Gesamtherstellung: Schwabe AG , Basel/Muttenz
ISBN Print 978-3-03784-135-8
ISBN (ePUB) 978-3-03784-142-6
ISBN (mobi) 978-3-03784-143-3
www.verlag-johannes-petri.ch
rights@schwabe.ch


Willi Näf


Die endgültige Schweizer Nahtodkomödie




Samstag, 14.45 Uhr
Es war Samstagnachmittag, Viertel vor drei, und Nik Hofmann lebte noch. Immerhin etwas.
Das Wochenende hatte prächtig begonnen. Die altersmilde Novembersonne warf ihre Strahlen auf die altgelben Birkenhaine nördlich des Dorfes, auf die Häuser und auf die verwitterte Tafel am Haus beim Postplatz mit dem ins Holz gekerbten Schriftzug Babettas historischer Coiffeursalon . Ein paar vorwitzige Strahlen gingen gar noch weiter und fielen durch das blitzsaubere Schaufenster direkt auf Nik Hofmann, der im Salon seinem Broterwerb nachging. Der bestand darin, mittels Kamm, Schere und Haarschneider seine Kundschaft schöner zu machen oder wenigstens von ihren Gesichtern abzulenken, was ihm bisweilen auch gelang.
Mit seinen 47 Jahren war Nik noch nicht allzu alt. Er war auch nicht allzu schlank oder allzu gross oder allzu attraktiv. Nichts an ihm war auffällig, abgesehen von seinen dichten braunen Haaren, die er am richtigen Ort trug, nämlich auf dem Kopf, und nicht in den Ohren wie zum Beispiel der alte Walter.
Niks Empfangsdame lag in der Ecke. Sie hörte auf den Namen Lassie und galt als dümmster Collie weitherum. Sie mochte alle, bis auf eine Ausnahme. Die hing im Moment im mittleren Coiffeurstuhl, war 20 Jahre alt, 191 Zentimeter lang und mit riesigen Ohren ausgestattet, die aber so bemerkenswert eng an den Kopf angelegt waren, dass die Lästermäuler Birkweils behaupteten, die Hebamme Johanna, die die ganze Dorfbevölkerung der Neuzeit aus der Taufe gehoben hatte, habe ihm damals eine halbe Stunde nach seiner Entbindung aus lauter Mitleid seine Ohren am Kopf festgeleimt. Die Häme hatte erst ihr Ende gefunden, als Boris gross genug geworden war, um die Spötter in den Brunnen vor dem Pfarrhaus zu tauchen, was er auch mehrfach und ausführlich getan hatte, mitnichten genussvoll allerdings, sondern stets mit der ihm eigenen Portion Missmut.
«Sie haben Schnee angesagt.» Nik bog mit der Linken Boris’ linkes Ohr nach vorne, um es mit der Schere in der Rechten freizuschnipseln.
Er war aus Prinzip sonnig gelaunt während der Öffnungszeiten. Fröhlichkeit sei aller Zaster Anfang in dieser Branche, davon war er überzeugt. Deshalb pflegte er ein breites Spektrum an Plauderthemen. Prominente, Gesundheit und Esoterik deckte er mit den Magazinen in seiner Warteecke ab, die er vor dem Auflegen selber las, um gegenüber seiner Kundschaft einen Wissensvorsprung zu haben. Über Politik und Sport hielt er sich mittels Radio und TV auf dem Laufenden. Auch seine Filmtipps waren gefragt. Zudem hatte er im Lauf der Jahre eine gesunde Fantasie entwickelt, mit der er sich geschickt von einem Thema zu einem andern hangeln konnte, ohne dass die zwei wirklich etwas miteinander zu tun haben mussten. Und wenn jemand bei einem bestimmten Glied in der Themenkette einhakte, dann verweilte er dort bis er den Haarschnitt beendet hatte. Über etwas so Banales wie das Wetter sprach er nur mit Kotzbrocken.
«Schnee, jetzt schon. Zwei, drei frostige Nächte, und schon macht der November die Natur kalt. Ein guter Monat zum Sterben, man kommt dann auch um das ganze Weihnachts-Trallalla herum.»
Boris verdrehte die Augen. «Bist du schon mal gestorben?»
Nik verzog das Gesicht. Kunden mit Mundgeruch gehörten zum Beruf, da musste man hindurch. Aber Boris’ Schlund war die Pforte zur Hölle. Sonja hatte ihn einmal als wandelnde Vergärungsanlage bezeichnet, und Nik schwor sich jedes Mal, bei Boris’ nächstem Besuch zu schweigen. Aber er schaffte es einfach nicht. Er hasste Stille im Salon.
«Ob ich schon einmal gestorben bin?» Nik sah zur Sitzecke hinüber. «Weisst du zufällig, ob ich bereits gestorben bin, Nelly?»


Samstag, 14.46 Uhr
Mit ihrem iPhone am Ohr lag Sonja bäuchlings auf dem Spannteppich ihres grossen Schlafzimmers. Ihr Festnetztelefon stand auf dem Sideboard, aber Sonja benutzte grundsätzlich das Smartphone. Darauf war ihr Leben gespeichert. Besonders Sascha.
«Gut, um vier bin ich bei Dušanka. Holst du mich ab?»
Sonja duftete geduscht, klang verliebt und fuhr sich eins ums andere Mal durch ihre rotblonden Locken. Sie hatte freche Grübchen, das Gebiss einer Miss und Kurven, die Jungs rot und Mädchen gelb werden liessen.
«Klar ist Dušanka informiert. Offiziell bin ich den ganzen Abend mit ihr zusammen. Schreib mir, wenn du losfährst.»
Sonja beendete das Gespräch, schlenderte in die Küche und goss sich ihren dritten Kaffee ein. Die Wohnung lag im ersten Stock, und vom Haus auf der andern Seite des Birkweiler Kirchplatzes hätte jeder sehen können, dass sie bloss einen rosa Sport-BH und einen gleichfarbigen Slip trug. Das war ihr so was von egal.
Eine Viertelstunde und zwei Croissants später zog Sonja sich ein Shirt und einen Rollkragenpullover über und stieg in ihre schwarze Jeans. Sie verliess die Wohnung und hüpfte die lange, dunkle Holztreppe in den Hausgang hinunter.


Samstag, 15.02 Uhr
Nelly hatte den Wortwechsel zwischen Nik und Boris sehr wohl mitverfolgt, doch sie war still im lindengrünen Biedermeiersofa gesessen und hatte getan, als ob sie furchtbar in ihre Lektüre vertieft gewesen wäre.
Unschuldig blickte sie nun über den Heftrand: «Wie bitte?»
«Weisst du zufällig, ob ich bereits gestorben bin?»
«Natürlich, in deinem früheren Leben», antwortete Nelly und blickte weise, «vielleicht als Tiger.»
«Und in meinem jetzigen Leben?»
Boris verdrehte die Augen.
Nelly sah Boris trotzig an. «Nik ist das Leben in Person.»
Boris antwortete mit einem lauten Schweigen.
«Ich bin beruhigt, ich lebe noch», sagte Nik.
Nelly lächelte befriedigt. Er hatte ja keine Ahnung, wie sehr sein Leben sich noch verändern würde.
Nik stand hinter Boris, musterte ihn im grossen Wandspiegel und hielt ihm einen zweiten Spiegel hinter den Kopf. «Gut?»
Boris sah sich im Spiegel kurz an, nickte, stand wortlos auf, bezahlte, zog seine Jacke an und brummte: «Lebt wohl.» Als er die Holztüre mit den Milchglasfenstern öffnete, die in den Hausgang hinausführte, stiess er mit Sonja zusammen.
«Grüss dich», sagte Sonja kurz angebunden.
Boris blickte eisig an ihr vorbei, ging grusslos die wenigen Schritte durch den Hausgang zur Haustüre und liess sie ins Schloss krachen.
«Morgen, Nelly, Paps und Lassie», rief Sonja.
Lassie sprang auf und rannte ihr entgegen. Sie gehörte Sonja. Oder umgekehrt. Nik hatte seiner Tochter die Hündin vor sechs Jahren als Spielgefährtin gekauft.
«Guten Morgen, Sonne», sagte Nik väterlich.
Sonja mochte den süsslich besorgten Ton nicht, den ihr Vater immer noch anschlug, aber sie hatte ihm wenigstens abgewöhnt, sie bei jeder Gelegenheit auf die Stirn zu küssen. Mit dem andern liess es sich leben. Es sprachen handfeste Gründe dafür, gut für einen Paps zu sorgen, der einen abgöttisch liebte.
Sonja setzte ihren Kleinmädchenblick auf. «Paps, würdest du heute Abend bitte mit Lassie die Waldrunde übernehmen? Ich möchte dieses Wochenende zu Dušanka, wir wollen lernen.»
Nik lächelte.
«Danke.» Sonja ging fröhlich zur Türe, drehte sich dann aber noch einmal um: «Paps … nach dem Lernen gehen wir in die Stadt, eine Wohnung besichtigen, und dann wollten wir noch ins Kino. Und weil ich bei Dušanka was essen kann, hätte ich sie gerne eingeladen. Aber eigentlich … Ich wollte mein Geld ja für den Führerschein beiseitelegen.»
Ohne zu zögern trat Nik zum historischen Prunkstück seines Salons, einer knapp hundertjährigen, silberglänzenden mechanischen Registrierkasse aus der National-Manufaktur, von der aufgrund ihres gewaltigen Krachs zu vermuten war, dass sie in einem späteren Leben als Maschinengewehr zur Welt kommen würde. Mit einem kräftigen Stoss schob er die Geldschublade hinein, die zurückfederte und ihm gehorsam entgegenschoss, und entnahm ihr eine Fünfzigernote.
«Du bist ein Schatz», Sonja drückte ihrem Vater einen Kuss auf die Backe. «Ach ja, danke auch für die Croissants.»
«Gern geschehen. Ich hole dich ab.»
«Brauchst du nicht. Ich schlafe wieder bei Dušanka, morgen wollen wir den ganzen Tag lernen, am Abend vermutlich auch, Prüfung am Dienstag, wird sicher spät, geniess den Fernsehabend. Ciao Paps, ciao Nelly.»
Gut gelaunt hüpfte Sonja in den Gang, liess die Türe ins Schloss fallen und freute sich auf den Abend mit Sascha.


Samstag, 15.15 Uhr
Nelly legte das Magazin beiseite, und obwohl sie den wissenschaftlichen Artikel zum Thema «Abnehmen mit Tarot» nicht zu Ende hatte lesen können, strahlte sie. Nun war sie an der Reihe. Sie wuchtete sich aus dem Sofa empor, schleppte sich so leichtfüssig wie möglich über das Parkett, das unter der aussergewöhnlichen Last verzweifelt ächzte, und warf dabei einen Kontrollblick auf ihr eindrückliches Décolleté. Sass sie erst einmal im Coiffeurstuhl, dann würde Nik ihr den Umhang umlegen. Ihr Ausschnitt hatte also nur wenige Sekunden Zeit, seine Wirkung zu entfalten. Und in diesen musste freie Sicht gewährleistet sein.
Nelly presste sich beglückt zwischen die Lehnen des mittleren Sessels, lehnte sich zurück, harrte der Hände, die da kommen würden, und behielt den grossen Spiegel vor sich im Auge. Ein Blick in dieses Décolleté war für den Coiffeur kaum zu vermeiden. Nelly beobachtete einmal mehr zufrieden, wie verzweifelt der brave Nik beim Umlegen des Umhangs Gleichgültigkeit demonstrierte, bis er zu gute

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