Vorgeschichten zur Gegenwart - Ausgewählte Aufsätze Band 2, Teil 1: Die Schweiz als Krisengegenstand (1918-1945)
220 pages
German, Middle High (ca.1050-1500)

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Vorgeschichten zur Gegenwart - Ausgewählte Aufsätze Band 2, Teil 1: Die Schweiz als Krisengegenstand (1918-1945) , livre ebook

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Description

Diese Aufsätze behandeln die schweizerische Zwischenkriegszeit, die von einem tiefen Krisengefühl geprägt ist. Dieses äussert sich in der übereinstimmenden Meinung, dass etwas unternommen werden müsse, aber auch in höchst kontroversen Vorstellungen, wie dies zu geschehen habe.

Sujets

Informations

Publié par
Date de parution 30 janvier 2017
Nombre de lectures 0
EAN13 9783796535888
Langue German, Middle High (ca.1050-1500)
Poids de l'ouvrage 1 Mo

Informations légales : prix de location à la page 0,0374€. Cette information est donnée uniquement à titre indicatif conformément à la législation en vigueur.

Extrait

Georg Kreis
VORGESCHICHTEN ZUR GEGENWART
Ausgewählte Aufsätze
Band 2, Teil 1: Die Schweiz als Krisengegenstand
Schwabe Verlag Basel

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft, Basel
Umschlag: Offizielle Fahnenabgabe vor dem Bundeshaus am 19. August 1945. Vgl. den Beitrag «Plädoyer für eine zeitgemässe Zeitgeschichte» (eBook Teil 2) in diesem Band (Foto Keystone).
© 2004 by Schwabe AG, Verlag, Basel Gesamtherstellung: Schwabe AG, Muttenz/Basel ISBN 3-7965-2080-4 eISBN ePUB 978-3-7965-3588-8 eISBN mobi 978-3-7965-3598-7
www.schwabe.ch

Inhalt
Vorwort
Teil 1 Die Schweiz als Krisengegenstand (1918–1945)
Kampf an allen Fronten
Helvetischer Totalitarismus
Der «homo alpinus helveticus» Zum schweizerischen Rassendiskurs der 30er Jahre
Geschichte zwischen Wissenschaft und Politik Zum Engagement der Schweizer Historiker 1933–1945
Philipp Etter – «voll auf eidgenössischem Boden»
Henri Guisan – Bild eines Generals. Glanz und Elend einer Symbolfigur
Parlamentarismus und Antiparlamentarismus in den Jahren 1933–1945
Die Schweiz in Erwartung des Zweiten Weltkrieges
Massenflucht aus Basel
Die Schweiz und der Kunsthandel 1939–1945
Switzerland and Art Traffic 1933–1953. What Can History Contribute?
Zweimal von der Vergangenheit eingeholt
Nach dem Streit um Kandinskys «Improvisation Nr. 10». Ein paar generellere Überlegungen zur Sache
Zwischen Mangel und Überfluss. Das Versorgungsproblem der Jahre 1939–1942 aus der Sicht des «Nebelspalters»
Botschaften einer abtretenden Generation. Zu den Erinnerungen an die Zeit des Zweiten Weltkrieges
Das verpasste Rendez-vous mit der Weltgeschichte. Zurück in den Zweiten Weltkrieg (Teil III)
Abwehr an der Landesgrenze
State and Society Facing Mass Migration in Past and Present: the Swiss Experience
Die schweizerische Flüchtlingspolitik der Jahre 1933–1945
Zwischen humanitärer Mission und inhumaner Tradition. Zur schweizerischen Flüchtlingspolitik der Jahre 1938–1945
Das Bild und die Bilder von der Schweiz zur Zeit des Zweiten Weltkrieges
«Das Üble an der Geschichte: Man wollte keine Geschichten haben». Zum Flüchtlingsfilm «Closed Country»
Die Geschichte vom «vollen Boot». Starkes Symbolbild mit schwacher Wirkung
Textnachweis


Vorwort
Der zweite Band der «Vorgeschichten zur Gegenwart» umfasst wiederum rund 40 thematisch zusammengestellte Aufsätze. Der älteste stammt aus dem Jahr 1979, vier davon haben wie dieser Band das Erscheinungsjahr 2004, sind zum Teil also in der Zeit seit dem Erscheinen des ersten Bandes entstanden.
Das Buch setzt sich aus zwei Teilen zusammen: Der erste Teil umfasst Aufsätze zur Zwischenkriegs- und Kriegszeit, das heisst zu den zeittypischen Reaktionen auf die sich verschärfenden gesellschaftlichen Spannungen mit dem akzentuierten Konservatismus, dem Kult um Urgeschichtliches, dem Antiparlamentarismus und ferner zu Sondererscheinungen der Kriegsjahre vom angeheizten Kunsthandel bis zu den Mangelbefürchtungen im Ernährungsbereich und zur eingehend unter verschiedenen Aspekten beleuchteten Flüchtlingspolitik.
Im zweiten Teil sind Texte versammelt, die sich mit Reaktionen auf den gesellschaftlichen Wandel nach 1945 befassen: auf die Zunahme der Einwanderung, auf die in den 1960er Jahren angeschobene Verfassungsreform, auf die mehr Beachtung erheischende Jurafrage, auf das nach 1945 hochgekommene Bedürfnis nach Abrechnung mit NS-Sympathisanten und das anhaltende Phänomen des Antisemitismus, auf die Debatte um die Öffnung in der Aussenpolitik durch die Mitwirkung im internationalen Bereich wie auf die innen- und gesellschaftspolitische Herausforderung durch die moderne Multikulturalität.
Eine kleine Anzahl ursprünglich ebenfalls bereitgestellter Texte konnte, aus Rücksicht auf den Umfang des Bandes, leider keine Aufnahme finden. Vielleicht können diese Texte im vorgesehenen dritten Band erscheinen. Der Autor möchte auch hier wieder dem Verlag für das grosse Engagement, das er dieser Aufsatzsammlung hat zukommen lassen, herzlich danken.
Basel, im Oktober 2004 Georg Kreis


Teil 1 Die Schweiz als Krisengegenstand (1918–1945)


Helvetischer Totalitarismus

1943 wurde in der Dezember-Session des Nationalrates über die Ausbürgerungen von Schweizern debattiert, die vom Ausland aus gegen ihr Vaterland agitierten, als der konservativliberale Basler Albert Oeri seine Ratskollegen und den Bundesrat an die Geschichte vom Bären und vom Einsiedler erinnerte: an jenen zahmen Bären, der seinem schlummernden Herrn eine Fliege von der Nase vertreiben wollte und mit seinem Tatzenstreich den Einsiedler erschlug. Die Staatsschutzpolitik der Schweiz im Zweiten Weltkrieg warf schon damals die bange Frage auf, ob der totale Wehrwille nicht der Demokratie solche Bärendienste erweise und teilweise gerade das tilge, was er schützen wollte.
Wie man in der Schweiz der Jahre 1939 bis 1945 und zum Teil bereits in den vorangegangenen Jahren die inneren Divergenzen zurückgestellt und sich ganz auf die Abwehr der äusseren Bedrohung eingestellt hat, hat sich rückblickend unsere Aufmerksamkeit in erster Linie auf die schweizerische Aussenpolitik jener Jahre konzentriert und ist das Innenleben in der zeitgeschichtlichen Retrospektive nur wenig beachtet worden. Wer sich dennoch für das damalige Innenleben interessiert, will vor allem wissen, wer damals für Anpassung, wer für Widerstand eingetreten sei, wobei unter Anpassung die Preisgabe schweizerischer Substanz und Anlehnung an das Dritte Reich als neue Hegemonialmacht verstanden wird und unter Widerstand der unbeugsame Wille, diese Substanz trotz den kontinentalen Veränderungen zu erhalten.
Während Alice Meyer und mit ihr die meisten Zeitgenossen 1965 Anpassung und Widerstand noch als zwei sich ausschliessende Haltungen verstand, erkennen wir heute, dass Anpassung ebenfalls eine (wenn vielleicht auch untaugliche) Form des Widerstandes sein konnte. Es ist nur konsequent, wenn wir nach dieser Erkenntnis, die nach dem sukzessiven Zerfall zeitgenössischer Ausschliesslichkeit heute denkbar ist, auch die andere Frage stellen: Hat der Widerstand nicht Formen angenommen, die (wenn auch ungewollt) schliesslich zu einer Anpassung an den totalitären Gegner geführt haben? Anpassung oder Widerstand – diese Frage wollte und will vor allem wissen, welche Personen oder Gruppen welche Haltungen eingenommen haben. Dem moralisierenden und individualisierenden Begriffspaar sollten wir indessen die strukturellen und kollektivierenden Begriffe der Resistenzschwäche und Resistenz zur Seite stellen. Während Widerstand ein Akt der persönlichen Entscheidung ist, sagt Resistenz etwas über das gesamtgesellschaftliche Befinden aus. Resistenz bedeutet Immunität gegenüber einem Übel, das man je nach Auffassung entweder als importiertes Übel, als Infektion versteht oder als selbsterzeugtes Übel, als Karzinom gewissermassen.
Werner Möckli hat bereits versucht, die Anpassung, oder nennen wir es nun Resistenzschwäche, als Infektion durch den vorherrschenden braunen Zeitgeist zu verstehen. Resistenz als Karzinom – diese Deutung finden wir in der marxistisch-sein-wollenden Interpretation, die von der Annahme ausgeht, dass in den Zellen des Bürgertums jeglicher Nationalität, der Bourgeoisie schlechthin, der Faschismus als Krebsübel angelegt sei. Beim gegenwärtigen Stand der Forschung ist es nicht möglich, eine seriöse klassenspezifische Zuweisung von Resistenzanteilen vorzunehmen. Hingegen sperren sich die bereits vorliegenden Kenntnisse gegen die Theorie, dass bestimmte Bevölkerungsteile gegenüber fremden Vorbildern oder inneren Schwächen a priori gefährdeter oder resistenter gewesen sein sollen als andere. Möcklis Ansatz kann durchaus weiterverfolgt werden, wenn man ihn nicht mit der Auffassung koppelt, dass die damalige Schweiz anders hätte sein sollen, als sie war.
Ob aus Ansteckung oder Eigenentwicklung hervorgegangen – etwas wertfreier können wir das «Übel» als Abweichen von einem (gesunden) Normalzustand verstehen und konkret im Falle der Alpenrepublik als Abbau der demokratischen Freiheitsrechte und Störung des freiheitlichen Klimas und damit der Voraussetzung dafür, dass man Freiheiten überhaupt beanspruchen will. Wenn wir nicht nach Anpassung und Widerstand fragen, sondern nach Resistenzschwäche und Resistenz, so muss uns interessieren: Inwiefern hat sich die Qualität der schweizerischen Demokratie mit den sich ändernden äusseren Verhältnissen verändert? Im folgenden sollen uns vor allem drei Reaktionen beschäftigen. Auf die Herausforderung der Zeit haben sich 1. die divergierenden und antagonistischen Kräfte der Schweiz weitgehend zusammengeschlossen; sie haben 2. die Zentralgewalt mit einer zusätzlichen Machtfülle ausgestattet und 3. dem Wehrwillen die Stellung einer alles durchdringenden Kraft gegeben.
Was im Ständerat Ende August 1939 gesagt worden ist, war teilweise bereits Wirklichkeit, teilweise erst Programm: «Die Unterschiede der Klassen, der Sprachen, Parteien und Konfessionen sind verschwunden. Wir kennen heute keine politischen Farben mehr. Wir kennen nur noch eine Farbe: das Weiss-Rot im Schweizerbanner!» Mit dem Kriegsausbruch verstärkte sich die bereits in der Vorkriegszeit (z.B. im Friedensabkommen von 1937) manifeste Bereitschaft, das Gemeinsame dem Trennenden überzuordnen, die Bereitschaft zu einem wirtschaftlichen und politischen Burgfrieden. Dieser Burgfriede erstreckte sich indessen nicht auf diejenigen Kräfte, welche das innerparteiliche Stillhalteabkommen nicht respektierten und denen die demokratischen Freiheiten bloss Mittel waren, um eine Ordnung vorzubereiten, die selbst ohne diese Freiheiten auskommen wollte. Der parteipolitische Waffenstillstand galt nicht für

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